Trotsky. A BiographyReview: Oberender on Service
Service, Robert: Trotsky. A Biography. London: Pan Macmillan Publishers 2009. ISBN 978-1-405-05346-4; geb.; 600 S.; EUR 28,99.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Andreas Oberender, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
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Lange Zeit schien es so, als ließe sich die Lebensgeschichte Leo Trotzkis nur mit dem Mittel der Monumentalbiographie bewältigen.
Trotzkis Mitwirkung an den Revolutionen von 1905 und 1917, sein kaum überschaubares publizistisches Oeuvre, der Wechsel in die Rolle des Heerführers während des Bürgerkrieges, der Epigonenkampf nach Lenins Tod, gipfelnd in Entmachtung und Verbannung, das wechselvolle Exil in Europa und Mexiko und nicht zuletzt der Tod von der Hand eines NKWD-Agenten - all das verlangte förmlich nach epischer Breite und einem großformatigen Tableau. Doch nicht allein das für jeden Biographen dankbare Motiv von Aufstieg und Fall beflügelte viele Autoren, sondern auch die Überzeugung von der weltgeschichtlichen Relevanz Trotzkis, schien er doch Lenins "wahrer" Erbe zu sein und eine Alternative zum Stalinismus zu verkörpern. Zur Entstehung dieses Mythos hatte Trotzki, ein Meister der Selbstdarstellung und eifriger Propagandist in eigener Sache, mit seiner Autobiographie sowie seinen vielgelesenen Büchern über die Oktoberrevolution und ihren angeblichen "Verrat" durch den mittelmäßigen Bürokraten Stalin tatkräftig beigetragen.
Der Pole Isaac Deutscher, ein brillanter Stilist, doch als Historiker nicht über jeden Zweifel erhaben, brauchte in den 1950er- und 1960er-Jahren nicht weniger als drei Bände, um Trotzkis Leben abzuhandeln. Eine zweite, nicht minder umfangreiche Biographie stammt aus der Feder des französischen Historikers Pierre Broué, eines bekennenden Trotzkisten. Sie umfasst in der deutschen Übersetzung stattliche 1.300 Seiten. Im Vergleich dazu nimmt sich die neue Trotzki-Biographie des Briten Robert Service beinahe schlank und bescheiden aus. Doch nicht auf den Umfang kommt es an, sondern auf den Inhalt - und auf den Standort des Verfassers. Schon zu seinen Lebzeiten eine polarisierende Gestalt und Zielscheibe gehässiger Angriffe von links und rechts, hatte Trotzki das zweifelhafte Glück, dass die Erforschung seines Lebens und Wirkens jahrzehntelang von Apologeten und Verehrern betrieben wurde. Broués Biographie ist dafür das beste Beispiel. Sie ist in einem Tonfall naiver, anbiedernder Bewunderung gehalten, der jeden Leser peinlich berührt; im Vorwort äußert der Autor allen Ernstes die Hoffnung, im Laufe der Lektüre werde der Leser Trotzki "lieben" lernen.
Dergleichen ist von Service nicht zu erwarten. Er kann - sofern das überhaupt möglich ist - als idealer Trotzki-Biograph gelten: [...]
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