Troelstra schlägt vor, dass der Fragebogen als vertraulich zu bezeichnen sei.2 Zu Fragebogen 1 b soll noch hinzugefügt werden: Flandern, Irland, Persien, Tripolis, Aegypten, Malta u.s.w. 2 d soll hinzugefügt werden: Einfluss der Parlamente auf die äussere Politik. 2 c:freien Handel und offene Türen in den Kolonien.3
Ebert hält es für zweckmässig, die einzelnen grösseren Gesichtspunkte des Fragebogens zu besprechen. Die Art des Fragebogens gefällt ihm nicht. Er ist zu einseitig und wird wichtigen Gesichtspunkten nicht gerecht. Vor allem sind die wirtschaftlichen Fragen zu wenig berücksichtigt. Er will aber keine Aenderung beantragen.
Troelstra teilt mit, dass die Oesterreicher dieselben Bemerkungen gemacht haben.4 Auch bei jener Beratung wurde Punkt 2 scharf behandelt. Dies könne auch jetzt geschehen.
Ebert: Heute könne es sich nur um die Technik des Fragebogens handeln.
Scheidemann: Es müsse genau festgelegt werden, was bei den einzelnen Fragen gemeint sei. Er wünscht zunächst den Unterschied zwischen Nationen und Nationalitäten festzulegen. Die Frage könne geändert werden in Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dann zur Autonomie der Völker, ob man da verlange, dass die einzelnen Völkerschaften, z.B. Oesterreich, staatlich oder nur kulturell selbständig werden sollen.
Troelstra: Es handle sich hier nicht um Lösungen, sondern nur um Stichworte. Dass Nationalitäten und Nationen keine festen Begriffe sind, gibt er zu. Aber auch "Völker" sei kein bestimmter Begriff.
Huysmans: Belgien sei eine Nation mit zwei Nationalitäten.
David: Nationalität sei ein ethnographischer Begriff; die Nationen darüber hinaus ein staatlicher Begriff.
Troelstra: Autonomie soll nicht allein ein kultureller, sondern auch ein Verwaltungsbegriff sein, brauche aber nicht staatliche Selbständigkeit zu bedeuten. Eine allgemeine theoretische Festlegung sei nicht möglich.
Bauer: Was bedeutet da "Wiederherstellung"? Die Meinungen über die Bedeutung dieses Wortes seien verschieden; soll dieses heissen, dass das Land zurückgegeben oder auch, dass alle Schäden ersetzt werden müssen?
Troelstra: In erster Linie bedeute es politische Wiederherstellung, in zweiter aber auch wirtschaftliche Wiederherstellung. Serbien sei nicht imstande, sich von selbst zu erneuern. Dasselbe gelte von Belgien. Wer die Kosten zu tragen habe, sei im Komitee noch nicht behandelt worden.
Legien: Bezüglich Belgiens sei eine Festlegung nicht schwer. Wie aber in Rumänien, wo die Verwüstungen von den Engländern absichtlich vorgenommen wurden? Wo also die Zerstörung von Bundesgenossen vorgenommen wurde?
Branting: Von Rumänien sei noch nicht gespochen worden. Ueber Polen sei man der Meinung gewesen, dass die von den einzelnen Gruppen verursachten Schäden von den Schadenstiftern selbst zu tragen wären, soweit sie über das militärisch Notwendige hinausgegangen seien.
Huysmans: Der Fragebogen sei nur ein Formular der Sitzung. Dabei könne die Meinung des Komitees zunächst nicht in die Erscheinung treten.
Fischer hat den Fragebogen anders angesehen, vor allem weil in ihm nur solche Beispiele angeführt werden, die gegen die Mittelmächte sprächen. Er hält es in dieser Beziehung für möglich, einen allgemeinen Grundsatz aufzustellen, aber ohne Bezugnahme auf Beispiele.
Troelstra: Man will nur wissen, wie die Delegation den Begriff des Wortes Wiederherstellung auffasse und wie sie eine Lösung für möglich halte.
Branting betont, dass der Fragebogen keine Tendenz zur Parteilichkeit habe.
Molkenbuhr hält die Frage für eine der schwierigsten internationalen und nationale[n]; auch z.B. bezüglich der beschlagnahmten Schiffe. Es werden von verschiedenen Seiten im Lande selbst grosse Schadenersatzansprüche gestellt werden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass auch dies in die internationale Rechnung eingestellt werde.
Troelstra hält den Verlauf der Debatte für nicht richtig. Entweder soll man sachlich die Sache behandeln oder nur technisch. Aber nicht halb das eine und halb das andere. Vielleicht wäre es das beste, Ia sofort sachlich zu behandeln.
Dem wird nicht zugestimmt. Es soll nur die formelle Seite behandelt werden.
Punkt I a5 ist damit erledigt.
Punkt I b ist durch die vom Komitee vorgeschlagene Aenderung ergänzt.
David : Nach dem Fragebogen und der Ergänzung müsse man sich sozusagen mit allen Ländern des Erdballes beschäftigen. Er steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass nur diejenigen Fragen behandelt werden müssen, die direkt durch den Krieg aufgeworfen wurden und Gebiete betreffen, deren Zukunft durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Troelstra hält es für schwierig, gewisse nationale Fragen von vornherein auszuschalten. Erst nach dem Stattfinden der Vorkonferenzen könne man sich darüber schlüssig werden, inwieweit man sich bei der allgemeinen Konferenz Beschränkungen auferlegen könne. Die im Fragebogen genannten Fragen der einzelnen Nationen sind von der einen oder anderen Seite angeregt worden. Er ist selbst der Meinung, dass die wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund zu stellen seien.
Legien sieht nicht ein, was Els[aß]-Lothringen und Nordschleswig im Fragebogen an der betr.[effenden] Stelle zu tun haben, da es sich hier um keine Nationen handelt.
Troelstra führt an, dass Nordschleswig auf Grund einer Unterredung mit Bjrorgberg [Borgbjerg] hineingekommen sei.6
David führt an, dass wir stets für die kulturelle Autonomie der elsässischen und dänischen Grenzbevölkerung gewesen wären.
Branting hält es für feststehend, dass die Frage Els.[aß]Lothringen durch den Krieg aufgeworfen wurde und dass besonders in einer Aussprache mit den Franzosen darauf zurückgekommen werden müsse. Es handele sich tatsächlich um eine Nationalitätenfrage, zu der die deutsche Delegation vor allem Stellung nehmen müsse.
Vidnes: Die Aufstellung des Fragebogens sei ohne einseitige Stellungnahme erfolgt. Es seien nur Fragen aufgenommen, die direkt mit der Friedensarbeit zusammenhängen.
Legien weist darauf hin, dass der Fragebogen mit seinen einseitigen Fragen ja auch den auf der anderen Seite stehenden Nationen vorgelegt werde, wodurch diese keine Gelegenheit bekämen, sich auch über die Fragen zu äussern, die ihnen unangenehm sind, wie Irland z.B.
Molkenbuhr fragt wegen der Abfassung der Frage bezüglich der Kolonien.
Troelstra hält die Frage für einfach und klar und besonders im Interesse Deutschlands liegend.
Ebert fragt an, was die Juden unter den Nationen sollen.7
Troelstra teilt mit, dass auch diese nur auf Anregung aufgenommen wurden.8
Branting: Wegen der Kolonien kämen Verhältnisse vor wie in Afrika, wo die Rückgabe sehr schwierig sei; auch bei gutem Willen der Kriegführenden. Er bitte die deutsche Delegation zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
IIc wird angenommen; Aenderungen werden hier nicht vorgeschlagen.
Zu II b9 wünscht Scheidemann eine genaue zweckmässige Fassung, da im Augenblick von einer allgemeinen Abrüstung nicht die Rede sein könne. Wir könnten uns im allgemeinen auf die Ausführungen unseres Programms beschränken. Dieser Auffassung wird zugestimmt. Die Freiheit der Meere müsse nach Ausführungen von Troelstra und Huysmans mit Abrüstung verbunden werden, da es sich ja auch hier um eine Abrüstung handele.
Bei b wird noch festgestellt, dass es sich bei Kanälen nur um internationale Verkehrswege, nicht aber um nationale Binnenkanäle handele.10
Zu II a und III werden keine Wünsche ausgesprochen.11
Zu IV12 erbittet Ebert eine genaue Erläuterung der Frage, die von Troelstra gegeben wird. Es handele sich im allgemeinen darum, Wege zu suchen, dass die Friedensverhandlungen nicht allein in den Händen der zukünftigen Diplomatie liegen, sondern dass auch das Volk und dadurch die Sozialdemokratie durch die Parlamente an den Friedensarbeiten beteiligt würde.
Branting: Neben dieser Beteiligung der Sozialdemokratie kämen vielleicht noch direkte Handlungen der Sozialdemokratie in Frage. Die Beteiligung der Neutralen hält er für wünschenswert und nützlich, schon zur Ausgleichung der Gegensätze.
David fragt an, ob es sich nur um die Mitarbeit der neutralen europäischen Neutralen handele. Das wird bejaht.
Scheidemann weist noch auf die Schwierigkeiten der Mitarbeit der Parlamente hin; es sei nicht ausgeschlossen, dass durch die Mitarbeit der Parlamente in ihrer jetzigen Zusammensetzung der Friede verzögert werden könne.
Zu IV c wünscht Scheidemann die anderen Nationen anzuregen, einen ähnlichen Bericht über ihre Friedensarbeit herauszugeben, wie dies durch die deutsche Sozialdemokratie geschehen ist. Der Fragebogen könne ev.[entuell] in ähnlicher Weise erweitert werden durch die Frage: Was hat Ihre Partei für den Frieden schon getan und was wollen sie weiter tun?13
Troelstra: Auch die Mitglieder des Komitees halten diese Anregung für gut und berechtigt. Vielleicht könne man die Frage an einer anderen Stelle unterbringen; jedenfalls soll die Aufnahme in den Fragebogen erfolgen.
David wünscht, dass man auch daraufhin frage, was man zur Herbeiführung des Friedens zu tun gedenke.
Troelstra hält diese Frage bezüglich der Zukunft für sehr schwierig, da die dadurch hervorgerufene Diskussion ihre Gefahren habe.
Branting hält die Aufforderung an andere Nationen, einen Dokumentennachweis ihrer Friedensarbeit zu geben, für sehr nützlich. Er weist darauf hin, dass bei der ganzen Frage das Hauptgewicht auf die Herbeiführung eines dauernden Friedens zu legen sei.
David möchte seine Anregung nicht so aufgefasst haben, wie es Troelstra tut. Die Konferenz hat doch das Ziel, den Frieden herbeizuführen und diejenigen, die daran teilnehmen, müssen bereit sein, an dieser Arbeit ehrlich teilzunehmen. Die dieses nicht wollen, bleiben besser fort. Er weist auf den Stuttgarter Beschluss hin und verlangt einen sozialistischen Frieden.
Branting verlangt genau festgestellt zu haben, was David unter sozialistischen Frieden versteht.
Zu V I u.[nd] II14 werden keine Anfragen gestellt, ebensowenig zu a u.[nd] b.15 Damit ist der Fragebogen erledigt.
Ebert teilt den Wunsch der deutschen Delegation mit, einen kurzen Pressebericht zu veröffentlichen; er soll zunächst dem Komitee vorgelegt werden.
Troelstra wünscht, dass in den Berichten nicht die Rede sei davon, dass eine Diskussion mit den Mitgliedern des Komitees stattgefunden habe. Dieses sei bisher nicht üblich gewesen.
Branting: Je weniger jetzt gesagt werde, desto besser ist es, auch mit Rücksicht auf die deutsche Minorität, um dieser eine Bezugnahme auf die Ausführungen der deutschen Mehrheit unmöglich zu machen.16
Troelstra hat gegen jede Veröffentlichung Bedenken. Es sei doch nicht unmöglich, dass Aenderungen in den Auffassungen eintreten. Er möchte aber der deutschen Delegation das Recht geben, zu sagen, was sie für nötig hält.
Vidnes: Das Komitee muss auf jedem Fall ausserhalb der Diskussion bleiben. Die deutsche Delegation möge den Bericht ausarbeiten und dem Komitee vorlegen.
Ebert fragt wegen des weiteren Geschäftsganges. Die Beantwortung des Fragebogens können wir am Sonnabend vorlegen.
Die nächste Sitzung mit dem Komitee soll Montag vorm.[ittags] 10 Uhr stattfinden.
Anmerkungen
1 Zu diesem Protokoll siehe Kommentar Dok. Nr. P/27a, Anm. 1. Eine andere Version des Protokolls auf Grund der Mitschrift von Engberg in Dok. Nr. P/29. Auf die Unterschiede wird im einzelnen nicht hingewiesen, und erklärende Hinweise werden im allgemeinen nicht wiederholt. Dort in Anm. 1, Nachweise zu dieser Vorkonferenz.
2 Siehe Dok. Nr. P/08, Anm. 7.
3 Zu diesen Ergänzungen siehe Dok. Nr. P/15c, Anm. 4, 6 und 7.
4 Vorkonferenzen mit der österreichischen Delegation Dok. Nr. P/21 und Nr. P/22.
5 Allgemeine Grundlagen des Friedens: Selbstbestimmungsrecht der Nationen, Autonomie der Nationalitäten, Annexionen, Kriegsentschädigungen, Wiederherstellung. Zum Fragebogen siehe Dok. Nr. P/15b.
6 Siehe Dok. Nr. P/10, Anm. 13, und Dok. Nr. P/29, Anm. 13-14.
7 Diese Frage auch auf der Vorkonferenz mit der österreichischen Delegation, siehe Dok. Nr. P/22.
8 Poale Zion informierte Troelstra und Huysmans über die Verfolgung der Juden in Palästina und schlug vor, daß auch das Stockholmer Komitee intervenieren solle, Poale Zion an Troelstra, 18.5.1917, IISG, NL Troelstra, 421. Entsprechende Information auch an Branting, Schreiben 20.5.1917, ARAB, NL Branting, 3.1:12. Poale Zion stellte anhand des in L'Humanité am 29.5.1917 veröffentlichten Fragebogens dann "mit grosser Genugtuung" fest, daß die jüdische Frage aufgenommen worden war, Brief an Branting, 31.5.1917, ebd.
9 Punkt: Abrüstung und Freiheit der Meere.
10 Kanäle werden in II c genannt, unter Mittel, die berechtigten Bedürfnisse der ökonomischen Expansion ohne territoriale Machterweiteruung zu befriedigen.
11 Punkt II a: Völkerrechtliche Bestimmungen. - Punkt III: Praktische Verwirklichung dieser Ziele.
12 Punkt: Aktion der Internationale.
13 Siehe Dok. Nr. P/27a, Anm. 14. Die von Scheidemann vorgeschlagene Ergänzung wurde nicht unter Punkt IV Aktion der Internationale, c) Mitarbeit der sozialistischen Parteien, sondern in Punkt V: Allgemeine sozialistische Konferenz als Punkt B aufgenommen; siehe Dok. Nr. P/15c, Anm. 10. - Die Dokumentation der MSPD nachgewiesen in Dok. Nr. P/27a, Anm. 13.
14 Teilnahme an einer allgemeinen Konferenz: 1. Ohne Bedingungen? 2. Wenn nicht, unter welchen Bedingungen?
15 a) Auseinandersetzung über das Verhalten der sozialistischen Parteien während des Kriegs, Schuldfragen. b) Mehrheit und Minderheit.
16 Dies wurde dann doch möglich, weil das Pressekommuniqué der Vorkonferenzen mit der MSPD (dat. 13.6.) am 14.6.1917, gut eine Woche vor den Vorkonferenzen mit der USPD, veröffentlicht wurde. Das Kommuniqué ist allerdings nur kurz und allgemein formuliert. Ausführlicher der hier diskutierte und dann im Vorwärts am 9.6.1917 veröffentlichte Bericht über die Vorkonferenzen am 4.6. und 6.6. Siehe auch Dok. Nr. P/30.