Sitzung der MSPD-Delegation in Stockholm, 11. Juni 1917

P/32c
BA Berlin, NL Hermann Müller, 186, 9-10. Mschr., 2 S.1

Sitzung vom 11. Juni 1917.

   L e g i e n gibt Nachricht von einem Schreiben der Generalkommission an den A.[rbeiter]- u. S.[oldaten]-Rat betreffend ein Inverbindungtreten mit den Gewerkschaften. Die Antwort soll an Lindquist [Lindqvist] gerichtet werden.2 Die Mitteilung wird zur Kenntnis genommen.

   E b e r t  gibt Aufschluss über ein Schreiben an den A.[rbeiter]- u. S.[oldaten]-Rat in Petersburg. Der Entwurf wird vorgelegt und der Wortlauf festgestellt.3

   Die Sitzung mit dem Komitee über das Memorandum kann nachmittags 3 Uhr stattfinden.4 Es wird mitgeteilt, dass am gestrigen Tage der aus Petersburg zurückkehrende französische Deputierte Lafont eine Unterredung mit dem Komitee hatte.5 Adler ist dabei gewesen. Von Lafont wurde die äusserste Vertraulichkeit erbeten. Er vertrat in bekannter Art seine französische Auffassung, ohne die deutsche zu kennen. Es wird weiter mitgeteilt, dass Huysmans in dieser Sitzung ihn in anerkennenswert objektiver Weise über die deutsche Auffassung informiert habe. Das sei sehr notwendig gewesen, da Lafont sehr schlecht informiert war. Im Laufe der Sitzung wurde Lafont gefragt, ob er nicht gewillt sei, mit deutschen Sozialisten zu sprechen. Er habe erst Ausreden gemacht, dann sei er bereit gewesen mit dem Bemerken, er fürchte sich nicht vor Scheidemann und Genossen. Frau Bang habe sich sofort bereit erklärt, persönlich zu vermitteln. Scheidemann und auch Andere seien bereit gewesen, mit Lafont in Verbindung zu treten. Als man in das Hotel gekommen sei, sei er aber schon weggereist gewesen nach Christiania. Man könne ihm natürlich nicht nachreisen, so erwünscht auch eine Aussprache mit einem Franzosen sei. Diese Mitteilungen werden durch solche bestätigt, die Scheidemann von Adler erhalten hat. Lafont sei sehr zugenöpft gewesen. L.[afont] sei übrigens nicht als offizieller Vertreter der französischen Partei zu betrachten. Er habe schon gestern abend abreisen wollen. Es wird ferner mitgeteilt, dass auch Adler ein Schreiben an den Petersburger Arbeiterrat senden will.6 Adler läßt ferner fragen, ob die Delegation wirklich bereits abreisen wolle.7 Ueber den Termin der Abreise soll nochmals geredet werden.8 Wenn sich die Behauptungen über die Verhandlungen betreffend einen Waffenstillstand bestätigen sollten, dann wäre auch für Stockholm eine andere Situation da. Wenn es zum Waffenstillstand kommen sollte, dann sei wichtig, von hier aus zu wissen, wie die Dinge stehen. Die Franzosen und Engländer müssten vor die Frage gestellt werden: entweder mit uns zu verhandeltn oder die Verantwortung für ein Scheitern der Konferenz selbst zu übernehmen. Es wird weiter mitgeteilt, dass die Dänen wegen der Bedingungen der von den Russen einberufenen Konferenz in Petersburg sich erkundigen wollen.

   S a s s e n b a c h  teilt mit, dass er am Mittwoch abreisen muss.9 Morgen soll über die Abreise endgültig entschieden werden, ebenso darüber, ob neben Müller noch zwei andere Genossen hierbleiben sollen.

   David, Müller und Scheidemannlesen den von ihnen entworfenen Teil des Memorandums vor. Es wird in der Debatte besonders betont, dass sich das Memorandum für die Selbständigkeit Polens und Finnlands ausspricht, während für die anderen Fremdstämmigen Autonomie verlangt wird.10

Anmerkungen

1   Dokument (12 Seiten) überschrieben Protokoll der Sitzungen der Stockholmer Delegation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, das Sitzungen am 4., 5., 6., 9., 11. und 13.6.1917 wiedergibt. Siehe auch Tagebucheintragung 11.6.1917 in David 1966, S. 233f.; Scheidemann 1921, S. 141-143 (dort aber fälschlich 12.6. datiert).

2   Herman Lindqvist, Vorsitzender des schwedischen Gewerkschaftsbundes. - Keine Angaben zu dem erwähnten Schreiben und einer eventuellen Antwort im Archiv des Schwedischen Gewerkschaftsbundes, in ARAB, LO.

3   Entwurf des Briefs der MSPD an den Arbeiter- und Soldatenrat, datiert 7.6.1917, in ARAB, NL Wilhelm Jansson, Box 3; Abschrift in IISG, NL V. Adler, 3, und in BA Berlin, NL Hermann Müller, 184, S. 3-4. Auf der Abschrift im NL Müller steht: "(abgefasst: 7. Juni; abgesandt: 11. Juni per Courier)". - Eine Antwort von Tscheidse (Ccheidze) und Rosanov erfolgte am 23.6., Abschrift in ARAB, NL Wilhelm Jansson, Box 3.

4   Siehe Dok. Nr. P/32a-b.

5   Siehe Dok. Nr. P/31a, Anm. 5.

6   Siehe auch V. Adler an Akselrod, 14.6.1917, Durchschlag in IISG, NL Friedrich Adler, 14.

7   Nach Scheidemann 1921, S. 142, hielt Victor Adler die frühe Abreise der MSPD-Delegierten "für einen großen Fehler".

8   Siehe Dok. Nr. P/33c.

9   Sassenbach und Legien reisten am 13.6.1917 ab.

10   Siehe Dok. Nr. P/32a mit Anm. 6.