Sitzung des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation aus der Türkei, 12. Juli 1917

P/56
CHA, Stockholm, N. & C., Juli 1917:2. Hschr. Arthur Engberg, 21 S.1

Les Turcs

Le 12 juillet 1917.

   Troelstra heisst die Türken
willkommen.2

   Huysmans: Giebt Auskünfte über die
ottomanische Partei. Die grosse Frage ist dass ein Teil zur Konferenz kommen
will. Aber zur Teilnahme an der Konferenz ist es eine besond.[ere] Frage zu
behandeln.3

   Troelstra: Die Zulassung muss entschieden werden.
Aber zuerst Ihre Gesichtsp.[unkte] auf unsere Konf.[erenz]. Sie haben d.[en]
Fragebogen bekommen.

   Masliah:4 Wir haben d.[en] Fragebogen
gesehen und wir wollen 2 Sachen hervorheben:

   1) Der Friedensschluss

   2) Die Dauer d.[es] Friedens

   Wir glauben das[s] 2 Arten d.[en] Frieden zu schliessen
sind

   1) Das[s] der Sieger den Frieden bestimmt 2) Dass die
Int.[ernationale] die Bed.[ingungen] bestimmt.5

   Es heisst einen künft.[igen] Krieg zu vermeiden. Die erste
Linie führt aber nicht dahin. Wir betr.[achten] es als ein Unheil der
Menschheit wenn nicht d.[er] Krieg sofort geschl.[ossen] wird.

   Der Fried.[en] muss dauerhaft sein. Wir accept.[ieren] die
Formel d.[es] Arb[eiter-] u.[nd] Sold[aten]rats.6 Keine
Annex.[ionen], keine Entschäd.[igungen], keine Sklaverei d.[er]
Völker. Weiter Bewahren unser Unabhängigkeit. Jedes Volk
Selbstbest.[immungs]recht. Eine grundl.[egende] Beding[ung] ist dass nicht nur
die Kriegführ.[enden] sondern auch die Neutralen sich daran beteiligen.
Für d.[ie] Türkei war jede Intervention unglücklich. Wir
begeg.[nen] in der Gesch.[ichte] die Ford.[erung] dass d.[ie] Türkei
zerstört werden soll. Die Türkei war oft angegriffen. Sie musste ihre
Freiheit verteidigen. Sowohl vor als nach dem konst.[itutionellen] Regime haben
wir unter der imp.[erialistischen] Erob.[erungs]pol.[itik] gelitten. Wir
können sagen dass wir von Seiten Italiens einer perfiden Handl.[ungs]art
ausgesetzt sind. Die kapit.[alistischen] Bestrebungen in Ita.[ien] haben der
Türkei eine[n] Krieg aufgezwungen.7 Die Türkei hat durch
den Krieg die Mögl.[ich]keiten verloren ihre soz.[ialen] Fragen zu
fördern. Auch für die Zukunft wollen wir einen Platz auf der Erde
haben obgleich wir amputiert sind. Wir müssen mitten im furchtbaren
Blutbade den allg.[emeinen] Frieden fordern. Unser Los ist es in diesen Krieg
hineingeschleudert zu sein.8 Das tsar.[istische] Russl.[and] und das
imper.[ialistische] Engl.[and] haben uns zu teilen gestrebt.9
Zuletzt haben wir in unserem Parl.[ament] eine Deklar.[ation] gemacht sowohl
gegen Russl.[and] als England. Die türk.[ische] Regierung hat ihre
Existenz verteidigt. Die Türkei führen durch und durch einen
Verteidigungskrieg. Alles was wir anstreben ist unser[e] Unabh.[ängigkeit]
zu wahren, deshalb haben wir die Formel des russ.[ischen] Arb.[eiter- und]
Sold.[atenrats] gebil[l]igt.

   Keine Annexionen oder Kontributionen können wir zugeben.
Die Türkei hat bisher nur formale Unabh.[ängigkeit]
gehabt und in der Realität ist sie vom Auslande abhängig gewesen.
Jeder Reformversuch stiess gegen die fremde Mächte. Wollte man Bodenreform
oder Wirtschaftsreform so war es dieselbe Sit.[uation]. - Nach der Konstitution
wollten wir Zollschutz gegen Alkoholeinfuhr von Frankreich. Wir brauchten
kein[en] Alkohol zu importieren. Der Vorschlag fiel auf äusseren
Widerstand. Dies nur ein kleines Beispiel. Die fremden Mächte haben
kollektiv interveniert. Aber um auf unsere Frage zurückzukommen: Unsere
Unabhängigkeit war nur formel[l]. Wir wollen politische, oekonomische und
kult.[urelle] Auton.[omie].10 Jede Friedensformel die unsere
Unabh.[ängigkeit] antasten will hat auf unseren Widerstand zu rechnen aber
jede Formel die Gerechtigkeit will, dafür sind wir.

   Das beste Mittel den dauernden Fried[en] zu schaffen ist eine
int.[ernationale] Organ.[isation] mit Auftrag den Rechtszustand zu sichern.
Keine Macht hat seit 7 Jahren einen Vertrag mit d.[er] Türkei respektiert.
Weder Engl.[and] noch Frankreich. Italien hat mit in der Gesch.[ichte] allein
dastehender Treulosigkeit Provinzen von der Türkei geraubt.11
Am Tage wo die Grossmächte damit aufhören wäre ein dauernd.[er]
Fried.[en] mögl.[ich].12 Europa hat viele Prinz.[ipien] des
Rechtes geschaffen aber hat sie nicht auf d.[en] Orient anwenden wollen. Wir
deklarieren formell dass die Türkei einen Frieden will der Gerechtigkeit
und Gleichberechtigung allen Völkern anerkennt. - Freier Handelsverkehr
fordern wir. - Die Sicherheit und Unabhängigkeit muss uns gesichert
werden. - Wir betrachten die Annex.[ion] von der Türkei nicht als
zulässig mehr. Wir haben nunmehr fast nur eine Nationalität. Wir
wollen freies Selbstbest.[immungs]recht: Ägypten, Tripolis, Indien, Bokara
u.s.w. In der Art könnte eine alle Welt befried.[igende] Lösung
finden.

   Armenien13

   Wir wollen kult.[urelle] Unabhäng.[igkeit], die
Auton.[omie] der Nat.[ionalitäten] bewahren.14 Wir fordern dass
die Majorität nicht eine Minorität unterdrückt. Es muss
Autonomie sein, kulturelle Autonomie. Wir sind damit einverstanden, dass sie
alle Rechte haben muss. Alle Nationen unter Frankr[eich], Engl.[and], Italien
u.d.a. müssen Autonomie bekommen. - Betr Ukraine, Flandern, Tschechen
u.s.w. dasselbe. Betr. d.[er] Juden ist eine Bewegung der Juden in Palestina. -
Die Juden kommen nach d.[er] Türkei und fordern volle bürgerl.[iche]
Freiheit. Sie können alle hohen Ämter im Reiche bekommen. Die
jüdische Frage existiert nicht aber ist von denjenigen geschaffen
die in dieser Hinsicht Deklarationen gemacht [haben]. - Die
Immigrationsidé hat ihren Urspr.[ung] bei Juden die unter
verschied.[enen] Regimen gelitten hatten. Es sind Juden auch die sich für
die Sache Rumäniens geopfert haben. Obgl.[eich] Rumän.[ien]
versichert hat gegenüber den Juden volles Recht so hat es notorisch
dagegen verstossen. Es giebt in der Türkei keine jüdische Frage. Die
Juden die in einem Lande installiert sind und sich eine Exist.[enz] geschaffen
haben und sich der Sprache angeeignet bilden kein Problem. In der Türkei
hat man kein Hindernis den Juden setzen wollen weder für ihre
Immigr.[ation] noch für ihre Emigrationen.15

   Wir erachten dass d[er] Friede dauerhaft ist wenn er mit d.[er]
Hilfe d.[er] Demokratie geschlossen wird. Es muss eine supernation.[ale]
Ordn.[ung] geschaff.[en] werden. Parlament.[arische] Kontr.[olle] über
d.[ie] auswärt.[ige] Politik. Die geheimen Verträge sind
abzuschaffen. Die türkische Deleg.[ation] wäre
glückl.[ich] an dieser Konf.[erenz] teilzunehmen.

   Hussein: Der Friede muss dauerhaft sein. Wir
sagen, dass man um einen dauernd.[en] Fried[en] zu machen das Probl.[em] als
eine [ein] dynamische[s] betr.[achten] muss. Es sind 2 Prinzipien
der Gerechtigkeit:

   1) Für Europa

   2) Für d[en] Orient.

   Die Völker haben sich schnell entwickelt. Der Weltverkehr
macht dass die Entfern.[ungen] überwunden sind, die menschl.[iche]
Gesellsch[aft] muss deshalb für die Zukunft eine einz.[ige] Familie
bilden. Das Prinz.[ip] muss für d.[ie] Zukunft sein allen gegenüber
gleich angewandt [zu werden].16

   Huysmans: Ein Mitgl.[ied] d.[es] Teheraner
Parl.[aments] hat uns eine Erkl.[ärung] über die Türkei gegeben.
Wir fordern ein unabhängiges Persien.17

   Troelstra: Eine Frage. Wir haben während
d.[es] Krieges viel gelesen über das Vorgehen der Türken in Armenien.
Ich möchte wissen wie Sie sich als Genossen darüber äussern
wollen.

   Hussein: Es ist dies die allgemeine Tatsache des
Krieges. Der Krieg hat viele traurige Sachen geschaffen. Aber in dieser Frage
ist auch zu bemerken dass es Völker giebt, die Propaganda machen
können. Man hat oft von d.[en] Massakren in Armenien u.s.w. gespr.[ochen]
um einen Vorwand für eine Intervention zu haben. Die türk.[ische]
Regierung hat sich an d.[ie] englische Reg[.ierung] gewandt mit der Bitte
gewandt [fälschliche Wiederholung] Organisatöre [Organisatoren] von
Engl.[and] zu bekommen.18

   Masliah: Die ersten Kämpfe nach d.[em]
Eintr[itt] d.[er] Türkei in d.[en] Krieg fanden im Kaukasus statt. Deshalb
Massregeln auch im Reiche. Man fand da einen Komplott von arm.[enischen]
Revolutionären. Die Reg.[ierung] gezwungen alle Massregeln zu ergreifen.
Und da hat die Türk.[ei] Armenien aufgeford.[ert] ruhig zu sein. Aber
trotzdem ist es geschehen waren mehrere armenische Bande[n], kommandiert von
einen Parlamentsmitgl.[ied], in Aktion gegen d.[ie] Türken. Und man hat
mehrere türk.[ische] Beamt.[e] ermordert. Deshalb notw.[endig] sich
dagegen zu wehren und d.[en] Rückzug d.[er] Truppen zu schützen.
Deshalb Evakuierung. Aber bei dieser Versetzung der Bevölk.[erung] sind
viele Übeltaten verrichtet [worden]. Wir glauben dass die Übel die
d.[ie] Arm.[enier] getroff.[en] haben in erster Linie dem Kriege selbst
entspr.[angen] und sind nicht durch die türk.[ische] Regierung verrichtet
[worden]. Vor dem Weltkriege hat d.[ie] Türkei sich an Engl.[and] u.[nd]
Frankr.[eich] gewandt um Personen (Es wurden später Hoffmann
u.s.w.)18 in den Distrikten zu haben die die Zivilverwaltung
kontrollierten. Sie waren als Regierungsfunktionären zu betrachten. Die
Türkei hat also Garantien bekommen wollen. Frankreich hat sich
geweigert.19 -

   Huysmans: Haben Sie sich in Verbind.[ung] mit
d.[en] Russen gesetzt? Es wäre nützlich.20

   Troelstra: Die sionistische Frage haben Sie
berührt. Aber wie wollen Sie es anderen [ändern]?

   Masliah: Existierte bei uns eine
türk.[ische] Frage dann wäre es was anders.

   Troelstra: Sind Sie gegen eine jüdische
Kolonisation?

   Türken: Nein

   Masliah: Seit 3 Jahren haben wir ein Gesetz nach
dem wir mehrere Grade Hypothekenordnung haben. In der Türken [Türkei]
giebt es keinen Grossbesitz. Jedermann besitzt ein Stück Boden. All[er]
Boden gehört d.[em] Staat. Im Süden giebt [es] (in Syrien) einen
Grossbesitz.

   Huysmans: Verlangt Dokumentation damit die
türk.[ischen] Genossen an d.[er] allg.[emeinen] Konf[erenz] teilnehmen
können.21

   Troelstra dankt für d.[ie]
Ausführungen.22

Anmerkungen

1   In CHA, Stockholm, N. & C., Juli 1917:2, auch Notizen von
Huysmans (hschr., 6 S.). Notizen von Troelstra, in IISG, NL Troelstra, 423. -
Pressekommuniqué Dok. Nr. P/56a. Siehe auch Bericht von Fürstenberg
(über Hadik) an Czernin, 16.7.1917, in HHStA, PA I, Krieg 25 z, rot 958,
und Bericht von Hermann Müller, 31.7.1917, in PA AA, WK Nr. 2 c, Bd. 7, S.
68-70. - Memorandum abgedruckt in Stockholm 1918, S. 365-367. Das Memorandum
wurde auch am 23.7.1917 von Kühlmann, Konstantinopel, an das AA
übermittelt, in PA AA, WK Nr. 2 c, Bd. 6, S. 7-10. - Zur Sitzung und
türkischen Delegation Benes 1928, S. 295, 297f.; Harris 1967, S. 31f.;
Meckling 1969, S. 75; Silier, The participation of the Unity and Progress Party
in the Stockholm international socialist conference of 1917, Beitrag zu einer
Konferenz über die jungtürkische Revolution von 1908 in Manchester,
23.-24.3. 1988; Tuncay/Silier 1988, S. 212-214; Grass 2001, S. 45f. - Nach den
angeführten Notizen von Huysmans waren die türkischen Vertreter
Nessim Masliah und Ali Hussein Zade (Hüzeyinzade) und vom
Organisationskomitee Troelstra, Möller, Engberg und Huysmans anwesend. Die
Sitzung begann um 18 Uhr.

2   Die türkischen Vertreter waren am 27.6.1917 in Stockholm
angekommen. Kommuniqué zu ihrer Ankunft in IISG, Collection
Deuxième Internationale, 240. - Nessim Masliah war Abgeordneter und
Prof. Ali Hussein (Hüzeyinzade) (1864-1941) war einer der Gründer der
jungtürkischen Partei 1908 und einer der einflußreichen
Fürsprecher eines Pan-Turkismus oder Pan-Turanismus, der Vereinigung aller
Turkvölker in Zentralasien. Dieser Pan-Turkismus oder Pan-Turanismus hatte
Vorrang vor einer pan-islamischen Ausrichtung. Ali Husseins Losung aus der Zeit
vor dem Krieg lautete auch demnach in folgerichtiger Reihenfolge: "Turkism,
Islam and European civilization" und "Tukify, Islamicize, Eiropeanize". Die
Hauptstoßrichtung dieser Bewegung war gegen Rußland und aus diesem
Grund wurde sie neben der Türkei im Krieg auch von Deutschland
unterstützt. Dazu ausführlich Landau 1981, Kap. 1-2, wo auch der
Einfluß von Ali Hussein (Hüzeyinzade) genannt wird; Swietochowski
1985, S. 33f., 59f.; Bihl 1975, S. 14f., 239-245; Silier, The participation of
the Unity and Progress Party in the Stockholm international socialist
conference of 1917, Beitrag zu einer Konferenz über die jungtürkische
Revolution von 1908 in Manchester, 23.-24.3. 1988, S. 7.

3   Zur Zulassung siehe unten Anm. 21. - Die Anregung, eine
sozialistische Partei zu bilden, um an der Stockholmer Konferenz teilnehmen zu
können, erfolgte von österreichischer Seite. Der österreichische
Außenminister Graf Czernin überredete die türkische Regierung
in dieser Hinsicht. "Man müßte eben ad hoc Sozialisten schaffen und
entsprechend instruieren, wobei mit dem notwendigen Gelde (eventuell auch von
uns) nachgeholfen werden könnte." Da ihm daran gelegen sei, die
Stockholmer Konferenz scheitern zu lassen, müßten die
türkischen Delegierten den unversehrten Bestand der Türkei forden.
Czernin an Pallavicini, 10.5.1917, in HHStA Wien, PA I, Krieg 25 z, rot 958.
Zitiert bei Meckling 1969, S. 75; vgl. Benes 1928, S. 295, 297f. Am 13.5.
wiederholte Czernin an Pallavicini, man müsse regierungstreue und mit
genauen Instruktionen versehene Delegierte nach Stockholm senden. Die
österreichischen Sozialisten sollten für deren Zulassung eintreten.
In den Antworten am 12. und 15.5. wird mitgeteilt, daß Delegierte vom
Großwesir ausgewählt und instruiert worden seien. In HHStA, PA I,
Krieg 25 z, rot 958. Zur Abordnung einer türkischen Delegation dort
weitere Korrespondenz. - Ein ähnliches Interesse bestand auf deutscher
Seite, siehe PA AA, WK Nr. 2 c, Bd. 1, S. 118 (8.6.1917), 141; Bd. 2, S. 54,
96; Bd. 3, S. 52; Bd. 4, S. 101; Bd. 5, S. 103; Bd. 6, S. 7-11, 14f. (16.7.),
51; Bd 7, S. 138; Bd. 8, S. 25f., und Bd. 12, S. 14 (4.12.), 23 (8.12.). Nach
einem Bericht von Stobbe aus Stockholm an den Reichskanzler, 16.7.1917, sei ein
türkischer Vertreter eingetroffen, der, "da in der Türkei noch keine
sozialistische Partei besteht, durch den Grosswesir mit näheren
Instruktionen versehen und gleichsam zum Sozialisten gestempel tworden ist, um
sich an der Konferenz beteiligen zu können"; abgedruckt in Lademacher
1967, S. 536 (535-537). In einem Telegramm aus Konstantinopel von Bernstorff an
das AA, 8.12.1917, wird die türkische Delegation als "Sozialisten'Ersatz'"
bezeichnet; sie würde als Gegengewicht gegen die Armenier entsandt. Zu
Deutschland und der Türkei allgemein Schöllgen 1984 (vor 1914);
Müller 1991; Farah 1993; Landau 1994, S. 94-103. - Das türkische
Eigeninteresse an einer Delegation heben Tuncay/Silier 1988, S. 212-214, hervor
und Silier, The participation of the Unity and Progress Party in the Stockholm
international socialist conference of 1917, Beitrag zu einer Konferenz
über die jungtürkische Revolution von 1908 in Manchester, 23.-24.3.
1988, S. 7f. Mit Stockholm als zentraler Stelle für Begegnungen und
Propaganda sollte eine pan-islamische, auf die Türkei hin orientierte
Bewegung geschaffen werden. Dies wird auch deutlich in den von der Türkei
geförderten pan-islamischen Konferenzen in Stockholm; siehe Dok. Nr. P/75.
Nach Silier ist für die Situation in der Türkei nach der rusischen
Revolution interessant, daß man einen der führenden Mitglieder der
jungtürkischen Partei und des Pan-Turkismus oder Pan.Turanismus, Ali
Hussein (Hüzeyinzade), nach Stockholm geschickt und seine
Bloßstellung als Vertreter einer sozialistischen Partei riskiert hat. -
Nach der Vorkonferenz wurde am 17.8.1917 gemeldet: "wenig Erfolg" der
türkischen Delegation, in PA, AA, WK Nr. 2 c, Bd. 7, S. 138; vgl. auch Bd.
8, S. 25f. Zum "Erfolg" vorher schon nach einem Gespräch mit Masliah am
21.7., ebd. Bd. 6, S. 51. Dagegen berichtete Fürstenberg (über Hadik)
an Czernin, 16.7.1917, nachgewiesen oben in Anm. 1: "Komitee hat, wie ich
hörte, von Delegation besten Eindruck gewonnen". - Nach dieser
Vorkonferenz geht es um eine nochmalige türkische Delegation, siehe PA AA,
WK Nr. 2 c, Bd. 8, S. 265, 283; Bd. 11, S. 19, 51; Bd. 12, S. 14, 17f., 21, 23.
Am 10.12.1917 wird dem AA aus Konstantinopel schließlich mitgeteilt: "Auf
meine Anregung hier ist Reise der hiesigen Sozialisten bis auf weiteres
aufgegeben worden".

4   Die Ausführungen von Masliah auch ausführlich in den
Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1.

5   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"La manière actuelle: la paix par négociation".

6   Dies auch in den oben in Anm. 1 nachgewiesenen Notizen von
Huysmans und Troelstra.

7   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"Italie fait division aux Balcans. 4 puissances sur Turquie. Bulgarie, Serbie,
Monténégro, Grèce. Grande partie de l'Empire s'est
détachée. Empire turque est amputé".

8   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"La Turquie est le pays qui a été le + attaqué" und: "La
Turquie a toujours fait des guerres de défense". Dann noch zweimal
"guerre défensive" bzw. "guerre de défense". Auch in den Notizen
von Troelstra, ebd.: "defensief" [defensiv]. Dies hervorgehoben zu haben,
unterstrich auch Ali Hussein Zade (Hüzeyinzade) gegenüber
Fürstenberg, so in dessen Bericht (über Hadik) an Czernin am
16.7.1917, nachgewiesen oben in Anm. 1. In dem Bericht wird besonders betont,
daß sich die Delegierten für die Unversehrtheit der Türkei
ausgesprochen hätten, was nach Czernins Anweisungen eine Grundforderung
war, mit dem Ziel, die Konferenz scheitern zu lassen (siehe oben Anm. 3), und
daß man sich "in Details über Territorial- und Autonomiefragen"
nicht eingelassen habe.      

9   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"Preuve suffisante: déclaration Perse. On voulait enlever la
Mésopotamie, Syrie, Levant, Constantinople".

10   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"Turquie indép[endante], pour la forme. Nous voulons
indépendance complète". In den Notizen von Troelstra,
ebd.: "Turkije wil zijn oanfhankelijkheid"[Die Türkei will ihre
Unabhängigkeit].

11   Danach gestrichen: "Unter dem Vorwande dass". - Nach den
Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1, wurde darauf verwiesen,
daß sich England Ägypten, Frankreich den Libanon, Italien Tripolis
und "îles de l'archipel" angeeignet hätten.

12   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"Si impérialisme vaincu, paix durable". Zuvor hatte
Masliah ähnlich argumentiert: "Question de la paix: il faut que toutes les
puissances renoncent à l'impérialisme".

13   Zu Armenien siehe Vorkonferenz mit dem armenischen Vertreter
am 26.7.1917, Dok. Nr. P/59.

14   In den oben in Anm. 1 nachgewiesenen Notizen von Huysmans:
"Demandons pour eux l'autonomie". In den Notizen von Troelstra, ebd.: "cult.
autonomie" [kulturelle Autonomie].

15   In den oben in Anm. 1 nachgewiesenen Notizen von Huysmans:
"Question juive en Roumanie et ailleurs. Pas en Turquie" und: "Pas contre
immigration. Juifs accueillis si collaborent au progrès
général". In den Notizen von Troelstra, ebd.: "de joodsche vraag
niet in Turkije maar in Rusl. Polen, Rumenie. Wat joden willen moet in
landen, waar ze groot antaal; niet in Turkije. Turkije wil geen
enklaves laten vormen - de joden die er komen als gewone borgers
behandelen" [eine jüdische Frage nicht in der Türkei, aber in
Rußland, Polen, Rumänien. Was die Juden wollen, muß in den
Ländern, wo sie in großer Anzahl leben, entschieden werden;
nicht in der Türkei. Die Türkeit will keine Enklaven
bilden lassen - die Juden, die hierher kommen, als normale Mitbürger
behandeln]. - Zu den Protesten gegen die türkische Politik den Juden
gegenüber siehe Information von Branting in Dok. Nr. P/22, mit Anm. 15,
und Vorkonferenz mit Poale Zion, Dok. Nr. P/60a-c.

16   Vgl. bei Silier, The participation of the Unity and Progress
Party in the Stockholm international socialist conference of 1917, Beitrag zu
einer Konferenz über die jungtürkische Revolution von 1908 in
Manchester, 23.-24.3. 1988, S. 2, Zusammenfassung von Ali Hussein Zades
(Hüzeyinzades) Stellungnahme in einer türkischen Arbeit, ausgehend
von dessen unveröffentlichten Notizbüchern und einer Autobiografie.
Die imperialistischen Mächte hätten der Türkei keine
Entwicklungsmöglichkeiten nach der Revolution von 1908 gegeben. Es
bestünden Vorurteile, auch unter den Sozialisten, der Türkei und den
Moslems gegenüber. Nur Jaurès habe die Turkophobie und die
Auflösung des ottomanischen Reiches bekämpft und hätte das, wenn
er nicht ermodert worden wäe, auch auf der Stockholmer Konferenz getan;
denn die Integrität und Unabhängigkeit der Türkei sei seiner
Meinung nach die einzige Garantie für eine friedliche Entwicklung im
Mittleren Osten.

17   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"C.H [uysmans]: La Turquie se désintéresse de la Perse.
Hussein Oui". - Siehe Besprechung mit dem persischen Vertreter am
12.7.1917, Dok. Nr. P/54.

18   Zu Armenien bis 1917 Trumpener 1968, S. 200-247; Gunst 1993,
Kap. 2-3. Im Februar 1914 schlossen die Türkei und Rußland einen
Vertrag über Reformen in ihren jeweiligen armenischen Gebieten. Sie
sollten von zwei europäischen Generalbevollmächtigen überwacht
werden. Diese trafen kurz vor Kriegsausbruch ein und wurden gegen Ende 1914
zurückgeschickt. - Im armenischen Memorandum, in Stockholm 1918, S. 280f.,
ist von deutschen Inspektoren die Rede, die die Lage in Armenien
überwachen sollten, die wohl der deutschen militärischen Mission in
der Türkei angehörten. Hoffmann (der spätere Generalleutnant Max
Hoffmann?) war wohl einer dieser deutschen Inspektoren. - Siehe auch unten Anm.
19.

19   Siehe auch oben Anm. 18. - Die beiden Stellungnahmen von Ali
Hussein und Masliah nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"Hussein: a) Kurdes et Arméniens s'entretuent. b) Turquie s'est
adressée au g[ouvernemen]t anglais pour administrateurs en
Arménies. Angleterre a refusé. Masliah a) On a
découvert munitions de provenance étrangère. Dans couvents
etc. b) Bandes arméniennes ont attaqué armée turque
[...] évacuation de villages; regrett.[ables] incidents; haine;
boulversements; pas de communication; morts de faim. Nous ne défendons
pas le g[ouvernemen]t turc. Malheurs survenus dûs à la
guerre pas résultat du g[ouvernemen]t. Programme de
réformes a été arrêté pour l'Arménie
par Ang[leterre] et Russie [...] Réformes pas appliquées.
Titulaires sont rentrés [? schwer lesbar]. L'Angleterre n'a pas
appliqué par influence de Russie (pour justifier intervention russe)]".
In den Notizen von Troelstra, ebd.: "Komt er tegen op, ander recht voor Ar.
volken dan voor Europ. volken. Groote modernizeeering over geheele wereld /
provoc. Russen, Kurden opgezet tegen Arm. / voor oorlog had T. reg.
herv.[orming] ambtenaaren ( insp.) [... ? schwer lesbar] endz. daar
voor ingesteld. T. had Eng. of Fr. ambten. gevr. - geweigerd met oog op
Russen, de geen verbetering wilden. - Eng. reg. begin oorlog: compl.
rev. Arm. wapen, bommen van Russ. oorspr.[ong] [...] roveren [?]
moorddaad. aanval - verplicht massen wegvoeren, - daarbij door geh. verkeer
allerlei betreurensw. feiten - hongerdood enz. hoofdzak:
fatalité de la guerre" [Protestiert dagegen, andere Rechte für
armenisches Völker als für europäische. Große
Modernisierung in der ganzen Welt / Provokationen durch Russen, die Kurden
gegen die Armenier aufgehetzt / vor dem Krieg hatte die türkische
Regierung Reform der Beamten (Inspektoren) [...?] usw. dafür
eingesetzt. Die Türkei hat England und Frankreich um Beamte gebeten - sich
geweigert mit Blick auf die Russen, die keine Verbesserung wollten. -
Englische Regierung zu Beginn des Krieges: völlige Revision [?] der
armenischen Waffen, Bomben russischen Ursprungs [...] Räuber [?]
mörderische Angriffe - verpflichtet, Massen, wegzuführen, -
dabei durch ganzen Verkehr allerlei bedauernswerte Tatsachen -
Hungertid, usw. In der Hauptsache: fatalité de la guerre]. - Vgl. Ali
Hussein Zade (Hüzeyinzade) zu Fürstenberg, so in dessen Bericht
(über Hadik) an Czernin 16.7.1917, nachgewiesen oben in Anm. 1: man habe
"armenische Politik der Türkei gerechtfertigt".

20   In einer von Silier, The participation of the Unity and
Progress Party in the Stockholm international socialist conference of 1917,
Beitrag zu einer Konferenz über die jungtürkische Revolution von 1908
in Manchester, 23.-24.3. 1988, S. 2, zitierten türkischen Arbeit wird ein
Gespräch mit Rosanov über die nationale Frage angeführt, eine
Angabe, die Silier mit Skepsis betrachtet.

21   Die einzige der Internationale angeschlossene "ottomanische"
Partei war die Revolutionäre Föderation Armeniens
"Daschnaktzoutioun". - Zur Frage der Zulassung siehe die beiden Schreiben von
Nessim Masliah und Ali Hussein Zade (Hüzeyinzade) an das
Holländisch-skandinavische Komitee bzw. an das ISB, 7.7.1917, in CHA,
Dossiers, I 608 B, auch I 607 B. Dort wird um eine Teilnahmeberechtigung als
Vertreter der türkischen sozialistischen Partei der ottomanischen Sektion
in der Internationale, die vom ISB am 9.6.1907 anerkannt worden sei, ersucht.
Im Pressekommuniqué, Dok. Nr. P/56a, wird von einer türkischen
Untersektion der türkisch-armenischen Sektion gesprochen. Silier, The
participation of the Unity and Progress Party in the Stockholm international
socialist conference of 1917, Beitrag zu einer Konferenz über die
jungtürkische Revolution von 1908 in Manchester, 23.-24.3. 1988, S. 4-6,
der jene beiden Briefe zitiert, stellt fest, daß man die Anerkennung
einer armenischen Sektion dahingehend interpretiert habe, "various ethnical
sub-sections may be separatley affiliated with the International until such
time that an overall Ottoman sections is formed". Es lassen sich keine Belege
finden, daß eine Aufnahme diskutiert und akzeptiert worden wäre. -
In einem Bericht von Fürstenberg (über Hadik) an Czernin, 29.6.1917,
in HHStA, PA I, Krieg 25 z, rot 958, wird eine "vertrauliche Rücksprache"
der türkischen Delegation mit Huysmans am heutigen Tag genannt, nach dem
man einen Antrag an das ISB stellen wolle. Es wird auch darauf hingewiesen,
daß die türkischen Delegierten tatsächlich einige
Gewerkschaften verträten und daß eine armenisch-türkische
Partei in Saloniki existiert habe, "deren Angliederung an das Brüsseler
Bureau 1907 im Prinzip bereits beschlossen war, die sich jedoch nach Abtretung
dieser Stadt an Griechenland de facto auflöste. Es kann als wahrscheinlich
angenommen werden, daß sich Komitee für Zulassung türkischer
Delegierter in aller Form ausspricht". Ähnlich positiv in
Fürstenbergs Bericht am 16.7., ebd.: Das Komitee habe die Delegierten "so
gut wie anerkannt". Es seien nur noch Dokumente abzuwarten, die sie als
Vertreter der von ihnen genannten Gewerkschaften bestätigten. Ein
Telegramm von 12 türkischen Abgeordneten und Gewerkschaftssekretären
an Hermann Müller, o.D., in CHA, Dossiers, I 608 B, in dem man
erklärt, daß die beiden Delegierten auch in ihrem Namen
sprächen, zeigte keine Wirkung. Nach einem Interview mit Vliegen, Het Volk
16.7.1917, S. 1, könne man die türkischen Delegierten als Vertreter
der Arbeiterschaft betrachten, auch wenn es keine sozialistische Partei gebe. -
Mikael Varandian von der Revolutionären Föderation Armeniens
"Daschnaktzoutioun" protestierte in einem Brief an Branting am 7.7.1917, und in
einem ähnlichen an Huysmans am 7.7. gegen eine türkische Teilnahme,
in ARAB, NL Branting, 3.1:12, bzw. in CHA, Dossiers, I 605 B. Ebenfalls
protestierte die Groupe étudiants socialistes armeniens in Genf in einem
Telegramm an Branting, 17.8.1917, gegen die von der Regierung bestellte
Delegation und deren "cynisme pseudo socialiste", in ARAB, NL Branting, 3.1:11;
auch mschr. Text (Pressekommuniqué?) in CHA, Dossiers, I 605 B. - Siehe
auch oben Anm. 3. - Eine türkische Partei wurde erst im November 1920 in
das ISB aufgenommen.

22   In den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1, an
einer Stelle: "Masliah donne texte rapport à publier". Das
Memorandum nachgewiesen oben in Anm. 1.