Bericht über die Besprechung mit der aus London zurückgekehrten
Sowjet-Delegation.
Die Sitzung fandt am 11. September 1917 abends 7 Uhr in
Stockholm in den Räumen des holl.[ändisch]skandiv.[skandinavischen]
Komitees statt. Anwesend waren: Ehrlich, Goldenberg, Panien [Panin] und
Rusanoff von der Sowjet-Delegation; Müller von der deutschen und Sakasoff
von der bulgarischen (weitherzigen) soziald.[emokratischen] Partei.
Es werden zunächst von Müller die Wünsche
der Wiener Konferenz auf Grund des Wiener Briefes vorgetragen2 und
dabei wird der Wunsch nach einer Entscheidung über das Datum der Konferenz
vorgebracht.
Sodann gibt Ehrlich einen Bericht:3
Die Idee von Stockholm ist in Frankreich und England
durchgedrungen. Die Franzosen wollten die Schuldfrage erörtert haben. Sie
waren aber dann damit einverstanden, dass diese nicht als besonderer Punkt
behandelt würde, da sie ja bei Punkt: "Weltkrieg und Sozialdemokratie"
sowieso unvermeidlich berührt würde. Die Engländer hatten
Bedenken wegen des Charakters der Beschlüsse. Sie wollten keine
obligatorischen Beschlüsse. Bei der italienischen Partei hatten wir keine
Schwierigkeiten. Die mit grosser Mehrheit gefassten Beschlüsse der Labour
Party bedeuten für England einen grossen Sieg der internationalen Idee.
Die die Situation beherrschenden Führer waren Macdonald und Snowden. Die
Beschlüsse der Engländer und Franzosen zeigten uns eine völlig
geänderte Situation. Am besten bewiesen das die Beschlüsse über
die Passeport-Frage. In England und Frankreich gibt es tatsächlich keine
union sacrée mehr. In der zweiten Konferenz der Labour Party lag der
Antrag Fairchild vor, der verlangte, dass die Vertreter der Partei aus dem
Ministerium herausgehen müssten. Der Beschluss wurde nicht diskutiert.
Smillie wollte aus taktischen Motiven einen Beschluss verhindert haben, da
viele Delegierte kein Mandat hatten, über einen solchen Beschluss
abzustimmen. Die Abstimmung hätte ein ganz falsches Bild gegeben. Deshalb
zog Fairchild seinen Antrag zurück. In Frankreich sorgt die Stimmung gegen
die union sacrée immer wieder dafür, dass die Frage des
Ministerialismus auf die Tagesordnung kommt. Aber man ist jetzt gegen den
Abgang der Minister, weil man für die Situation, in der Frankreich sich
befindet, schlimme Wirkungen befürchtet. Man fürchtet schlimme
Rückwirkungen für die militär.[ische] Lage, und deshalb
vermeidet man den Bruch. Man hält einen Abgang der Minister ohne
internationale Garantien nicht für möglich. Eine Massenbewegung in
Deutschland würde dem Burgfrieden in Frankreich auch ein Ende machen. Das
"nach Stockholmgehen und Friedenmachen" ist in Frankreich zu einer Parole
geworden. Die französische Fraktion ist in zwei Hälften gespalten,
die auch in Stockholm getrennt auftreten würden. Der Unterschied ist nur,
dass die 33 Parlamentarier unter Compère Morel der rechten Hälfte
im Lande nichts hinter sich haben. Die inneren Ereignisse in Deutschland, der
völlige Stillstand der Bewegung zur Demokratisation fördern diese
Fortschritte in Frankreich nicht. Es kommen die Vorgänge an der Ostfront
hinzu, die auch ihre militärischen Konsequenzen haben.4 Was bis
jetzt im Hinblick auf die russische Revolution geschehen ist, ist nicht
ermutigend für das Volk in Frankreich und Italien. Auch der Verlauf des
Gewerkschaftskongresses in Blackpool ändert nichts an dieser Auffassung.
Auch dort war man prinzipiell bereit, mit Deutschen zu verhandeln, man wollte
vorher nur unter den Sozialisten der Alliierten ein Einverständnis
über die Ziele erzielen. Jedenfalls können die Parteien in Frankreich
und England nicht lange in dieser Lage bleiben. Die Stockholmer Konferenz wird
deshalb kommen. Eine demokratische Bewegung in Deutschland wäre von Seiten
der Sozialisten der Zentralmächte eine starke Unterstützung für
den Konferenzgedanken. Die Sozialisten der Zentralmächte brauchten in der
Passfrage keinen Kampf [zu] führen. Bei ihnen waren nicht wie in
Frankreich und England Kraftaufwände erforderlich. Es ist deshalb
nötig, dass etwas Entschiedenes für eine Aenderung der
innerpolitischen Verhältnisse Deutschlands geschieht.5 Ehe
hierin keine Aenderungen kommen, wird es nicht leicht möglich sein, auf
die Frage nach einem bestimmten Termin für die Konferenz eine Antwort zu
geben.
Müller dankt für den Bericht: Aus der Presse
haben wir zum Teil denselben Eindruck gehabt. In allen Ländern wurde
Stockholm zum Symbol. Deshalb ist auch die Enttäuschung so gross
darüber, dass die Sache der Konferenz nicht vorwärts
geht.6 Die Festsetzung eines bestimmten Datums hat freilich nur dann
Zweck, wenn kein Bluff7 beabsichtigt ist, sondern man gewillt ist,
unbeirrt an ihm festzuhalten. Der Wille zu solchem Vorgehen, ev.[entuell] ohne
Franzosen und Engländer, sei freilich weder bei dem Komitee noch bei den
Russen vorhanden, daher würde ein solcher Termin jetzt wohl nicht
festgesetzt werden. Dass in Deutschland keine grossen Passchwierigkeiten
vorhanden waren, sei nicht Schuld der Sozialisten. Die vorhandenen habe die
Mehrheit aus dem Wege geräumt. Ihr Verhalten in der Passfrage in Bezug auf
die Minderheit sei früher anerkannt worden. Die union sacrée sei in
Frankreich und England noch nicht gelöst. Ich sehe die Dinge dort weniger
optimistisch an. Ich halte heute noch an der Sowjetmeinung vom Juli fest, dass
die Aktionen nicht vor der Konferenz stattfinden, vielmehr auf ihr beschlossen
werden sollten. Dann sollten sie in allen Ländern gleichzeitig vor sich
gehen. In Deutschland hat die Demokratisierung Fortschritt gemacht. Im
Reichstag ist eine feste Mehrheit für den Frieden der Verständigung
vorhanden und für das preussische Wahlrecht. Die letztere Frage sei eine
der wichtigsten für die innere Entwicklung Deutschlands und für die
Zukunft Europas. An der russischen Front habe die deutsche Regierung keinen
grossen Fehler gemacht. 5 Monate sei dort Ruhe gewesen. Der Vorstoss am Stochod
sei sogar quasi entschuldigt worden. Die Russen hätten mit der Offensive
angefangen. Im Juli haben Adler und ich das bedauert und die Folgen
befürchtet,8 die tatsächlich jetzt eingetreten sind. Die
provisorische Regierung habe leider in den vergangenen 5 Monaten nichts
Entscheidendes für den Frieden getan. Die deutsche Regierung hätte
Friedensfühler ausgestreckt. Die Russen sind nicht darauf eingegangen. Wie
die Nordd.[eutsche] Allg.[emeine] Zeitung am 15.4. festgestellt habe,
hätte es sich nicht um einen Sonderfrieden gehandelt, den wir Sozalisten
nicht wollen. Wenn man dem nicht glaubte, hätte das auf dem Wege der
Verhandlung festgestellt werden müssen. Dass die russische Revolution
nicht den Frieden gebracht habe, was ihre historische Aufgabe sein musste,
hätte nicht nur in Russland sondern auch in Deutschland die Massen
enttäuscht. Wir deutsche Sozialisten haben für den Frieden und die
Konferenz unsere Pflicht getan und unermüdlich gearbeitet. Alle
Hindernisse kamen von der Ententeseite. Es wird nicht gelingen, das
Nichtzustandekommen der Konferenz den Sozialisten der Mittelmächte
zuzuschieben. Die Erörterung der Schuldfrage hätten wir als
unzweckmässig empfunden, uns aber schliesslich nicht gesträubt, wenn
sie unbedingt verlangt würde. Nutzen würde ihre Verhandlung nicht
bringen. In der Frage der Beschlüsse hätten Partei und Gewerkschaften
durch die bekannte Erklärung die Wünsche des Sowjet
erfüllt.9
Panin:10 Wie kann man davon reden, dass
Deutschland keine grossen Fehler an der Ostfront gemacht habe. Der Vorstoss am
Stachod hatte strategische Bedeutung. Es sei naiv, keine Offensive sehen zu
wollen. Das Fraternisieren sei Offensive gewesen. Die Stellungen seien
ausgekundschaftet und Russen betrunken gemacht worden. Spionage treiben sei
auch Offensive. Man wollte den russischen Zersetzungsprozess abwarten. Zu
Beginn des Krieges sei in der Unterredung mit Tschenkeli, Stecklow und Larin
erklärt worden, dass man gegen den Zarismus kämpfe, gegen ein freies
Russland wäre eine andere Haltung gegeben.11 Jetzt behandele
man das freie Russland so wie das zaristische. Gegen das freie hätte man
damals nicht kämpfen wollen. Es geht aber jetzt um das Leben der
russischen Revolution. Die deutsche Sozialdemokratie habe keinen Einfluss. Das
sei niederschmetternd. Müller rede immer nur von der Stellung der
Regierungen und deren Friedensangeboten. Es komme aber hierbei auf die Stellung
der Arbeiterklasse und deren sozialistische Pflichten an. Anscheinend verstehe
man sich nicht mehr. Welche Pflichten das seien, das habe Müller ja noch
zu Beginn des Krieges bei seinem Pariser Besuch gewusst.12 In
Deutschland wäre bei den Massen, die den Unabhängigen folgten, der
Wille vorhanden, die sozialistische Pflicht zu tun. Es wäre paradox, immer
auf die Gefahren hinzuweisen, die Deutschland bei seiner starken Stellung gar
nicht drohten. Die Russen hätten trotz der Gefahren die Revolution
gemacht. Aber eine Revolution verlange man von Deutschland ja nicht. Das habe
man eingesehen. Die Massen müssten sich aber rühren.
Ehrlich: Eine offene Aussprache sei nötig.
(Müller: selbstverständlich). Sie hätten sich gefreut, als sie
bei ihrer Ankunft gehört hätten, dass auch ein Vertreter der
Deutschen Mehrheit in Stockholm anwesend sei, mit dem sie über ihre
Eindrücke und über die Situation reden konnten. Es läge ihnen
ferne, der deutschen Sozialdemokratie Vorschriften machen zu wollen. Das
würden sie sich nicht anmassen. Sie müssten aber die Dinge so
aufzeigen, wie sie sie sehen. In den westlichen Ländern lägen die
Dinge so, dass eine Massenbewegung in Deutschland den grössten
Enthusiasmus dort auslösen würde und dies Deutschland keine Gefahr
bringen könnte. Die englische und französische Demokratie wäre
stark genug, das nicht zu dulden. Die deutsche Mehrheit hat Einfluss, aber sie
nutzt ihn nicht, ja sie lähmt dadurch die Massenbewegung der anderen
Partei auch in Deutschland.13 Sind die russischen Übersetzungen der
deutschen Broschüre über die Tätigkeit für den Frieden
erschienen? (Müller gibt Auskunft darüber, dass 40 Broschüren
bestimmt nach Petersburg gekommen sind, aber der Rest noch nicht, aber nicht
durch unsere Schuld!)14 Es ist doch bekannt, dass in Deutschland der
Block15 am Zerschwinden ist. Das Zentrum schwenkt doch ab. Die
Offensive bei Riga ist eine grosse Gefahr für die russische Revolution.
Was tut zu dem allem die Sozialdemokratie in Deutschland. Wir wollen keine
Forderungen stellen, aber wir fragen! Die Reden über die Befreiung Rigas
sind eine Unverschämtheit. Die russische Reaktion, ihre
verräterischen Generale und die deutsche Offensive arbeiten sich in die
Hände. Die deutsche Sozialdemokratie sollte das sehen. Sie soll nicht
immer ihre Einigkeit bekunden, sondern nicht vergessen, dass sie ihre Pflicht
zu tun hat wie die Arbeiterklasse der anderen Länder auch.
Goldenberg stellt die Frage, ob in Deutschland eine
politische Massenbewegung zur Rettung der russischen Revolution möglich
wäre.
Die französische Armee würde z.B. nicht
vordrängen, wenn in Deutschland eine politische Massenbewegung da
wäre. Ob der deutsche Parteivorstand sich mit dieser Frage der Rettung der
russischen Revolution schon befasst hätte. (Ergänzungsfrage
Panin.)
Müller: Ich bin seit drei Wochen von Berlin weg.
Diese Fragen wurden vorher immer nur im Zusammenhang mit der Stockholmer
Konferenz behandelt. Wir hielten an unserm alten Standpunkt fest:
Massenbewegungen müssen in den hauptkriegführenden Ländern
paralell vor sich gehen sonst schädigen sie das Land, das sie allein
macht. Vielleicht sei eine Bewegung möglich im Zusammenhang mit einer
allgemeinen Friedensbewegung, die sich auf Konkretes stützte. Diese Frage
müsse erst erwogen werden. Er könne im Augenblick nicht mehr hierzu
sagen; dann zu den übrigen Ausführungen: Tatsache sei, dass die
Ostfront 5 Monate Ruhe gehabt hätte. Von der Haltung der Regierungen
müsse geredet werden. Denn von der revolutionären russischen
Regierung habe man erwartet, dass sie einen entscheidenden Schritt für den
Frieden täte. Die deutsche Sozialdemokratie habe in stärkerem Masse
die Friedensbereitschaft der deutschen Regierung gefördert. Die russische
Regierung müsste auf einen der deutschen Fühler reagieren und die
deutsche Regierung wegen des allgemeinen Friedens stellen. Ueber das Recht auf
Offensive haben sich die Sowjet-Delegierten im Juli hier ausgelassen. Jetzt
haben sich die Folgen der russischen Offensive eingestellt. Deutschland habe
sich heute noch zu verteidigen. Die Annahme ist nicht naiv, wo 4/5 der Welt
gegen Deutschland zu Felde stehen und hoffen, es auch unter Ausnutzung innerer
Schwierigkeiten niederwerfen zu können. Den Bericht Ehrlich über die
Stärke der Demokratie in England und Frankreich habe ich mit grossem
Interesse gehört. Er zweifle nicht daran, dass Ehrlich nach bestem Wissen
die Dinge so ansehe, aber überzeugt sei er nicht. Er sehe nichts, das
darauf hindeute, dass ein demokratisches Frankreich und England und seine
Armeen nichts unternehmen würden, wenn Deutschland durch Massenbewegung im
Inneren geschwächt würde. Wenn Deutschland unterliegen würde,
hätte es und hätten in erster Linie seine Arbeiter die Zeche der
ganzen Welt zu bezahlen. Die deutsche Partei habe nicht anders gehandelt in der
Frage der Landesverteidgung wie die englische und französische auch. Man
denke andererseits aber an die Kriegsziele, die die Labour Party jetzt wieder
aufgestellt habe. Von einem Zerschwinden des Blockes der Mittelparteien habe er
bis jetzt von hier aus nichts bemerken können. Jedenfalls werde die
deutsche Partei alles versuchen, um auch die Frage der Demokratisierung
vorwärts zu bringen. Die deutsche Partei habe immer Handlungsfreiheit
besessen. Sie hätte Massen hinter sich. In grossen Teilen Deutschlands
seien überhaupt nur Anhänger der Mehrheit vorhanden. Der Einfluss der
Partei habe sich in der Resolution vom 19. Juli bekundet.16
Sakasoff fragt an, ob die Delegation nicht einen Bericht
über das Ergebnis ihrer Reise niederlegen wolle. Von der
österreich.[ischen] Partei sei z.B. niemand hier vertreten.
Ehrlich lehnt das ab. Was sie zu sagen hätten,
würde in die Presse kommen. Sie würden ihrem Komitee einen
ausführlichen Bericht geben und der würde veröffentlicht
werden.17
Es kommt telephonisch die Nachricht, dass das russische
Ministerium demissionierte, Kerenski alle Vollmachten erhalten hat und
Korniloff mit einer Armee auf Petersburg marschiere u.s.w.
Die Verhandlungen werden nicht weiter fortgesetzt, da alles
wesentliche gesagt sei.18
Anmerkungen
1 Siehe Bericht von Fürstenberg (über Hadik) an
Außenministerium, 13.9.1917, über Gespräch mit Müller
über dessen Unterredung mit den russischen Delegierten, in HHStA, PA I,
Krieg 25 z, rot 960 bzw. XXVI/33 (auch in VII/17. F 156, Gesandtschaft
Stockholm, Berichte). Die russischen Delegierten seien überzeugt gewesen,
daß die Friedensbewegung in den Ländern der Entente "unaufhaltsam"
sei. Über die Behandlung der Schuldfrage sei in London und Paris ein
Kompromiß erreicht worden. "Von ihrer vorgängigen Bereinigung bei
Konferenzbeginn will keine Partei mehr Teilnahme an weiteren Verhandlungen
abhängig machen. Russen und Franzosen verlangten aus ganz verschiedenen
Gründen obligatorische Konferenz, fügten sich aber schließlich
englischer Forderung nach fakultativer. Auf Londoner sozialistischer
Ententekonferenz wollte man zu Einvernehmen über Friedensvertragsentwurf
in aller Form gelangen. Dieselbe wurde jedoch nicht bloß von Belgiern,
mit einem Teil Engländer, sondern auch von Renaudel-Partei (trotz ihrer
seinerzeitigen prinzipiellen Stellungnahme für Stockholm) sabotiert. Diese
Gruppen arbeiteten mit passiver Resistenz, Stimmenthaltung, etc." Müller
vermöge den Optimismus der Russen hinsichtlich der Länder der Entente
nicht zu teilen. Die Russen seien geneigt, den Erfolg ihrer Reise zu
übertreiben, um die deutschen Sozialdemokraten zur Opposition gegen ihre
Regierung zu veranlassen. - Die Besprechung mit Herman Müller wird auch im
Bericht von Erlich vor dem Exekutivkomitee des Arbeiter- und Soldatenrats am
22.9.1917 zusammengefaßt, erwähnt in schwed. Social-Demokraten
25.9., S. 4 (nach Isvestija 23.9.); dazu auch Protokoll der 3. Zimmerwalder
Konferenz in Lademacher 1967/2, S. 472f. Über diesen Bericht informierte
auch Fürstenberg am 3.10.1917, HHStA, VII/17. F 156, Gesandtschaft
Stockholm, Berichte (auch in PA I, Krieg 25 z, rot 960). Nach Erlich stimme die
USPD mit den russischen Delegierten überein, nicht aber mit Müller.
Auf die Frage nach dem Konferenzbeginn habe Erlich geantwortet, "daß nur
ein Blinder nicht sehen könne, daß die deutsche Offensive neben
ihrem opperativen Zweck das Ziel verfolgt habe, die russische Revolution zu
erdrücken.[...] Daß die Konferenz nicht zustandekam hat seinen
Grund in den Ereignissen in Petrograd [...] und an der deutschen Front.
[...] Der Konferenzgedanke hat in Europa triumphiert, aber damit die
Konferenz sich verwirkliche, bedarf es einer mächtigen russischen
Revolution und einer Volksbewegung in Deutschland! [...] Die Angaben
Erlich's bestätigen nur den schon mehrfach von mir hervorgehobenen
Umstand, daß die Sovjetdelegation vor ihrer Rundreise mit der deutschen
Delegation eines Sinnes war, in der Folge aber dieses Einvernehmen in die
Brüche ging. Die unüberwindlichen Differenzen ergaben sich aus der
verschiedenen Auffassung über das militärische Vorgehen der
Zentralmächte. Die Russen erblickten darin ein Attentat auf die
Revolution, an dem die deutsche Sozialdemokratie mitschuldig schien.
Müller resümierte, wie ich später erfuhr, seine Konversationen
mit Erlich in folgender Weise: "Das einzige, was wir am Schluß
übereinstimmend konstatieren konnten ist die Tatsache, daß wir uns
nicht mehr verstehen!" [...]".
2 Schreiben der Konferenz der Sozialdemokraten der
Mittelmächte an das Holländisch-skandinavische Komitee, 30.8.1917,
IISG, NL Troelstra, 423; IISG, NL V. Adler, 3 (Druckfahne oder
Zeitungsausschnitt); Arbeiter-Zeitung (Wien) 2.9.1917; zusammengefaßt in
schwed. Social-Demokraten 3.9.1917, S. 1, aber ganz zitiert in norw.
Social-Demokraten 5.9.1917, S. 5; abgedruckt in Sozialdemokratische
Partei-Korrespondenz Nr. 25, 15.9.1917, S. 237f.
3 Siehe Dok. Nr. P/66, mit entsprechenden Nachweisen, auch zu
weiteren Berichten von Erlich (in Anm. 2); Bericht von Goldenberg in Dok. Nr.
P/70c.
4 Siehe dazu auch die Informationen in den Berichten von
Borgbjerg in dän. Social-Demokraten 11.9.1917, S. 4, und 13.9., S. 3, und
in Troelstras "Brieven uit Stockholm" [Briefe aus Stockholm], XIV, in Het Volk
18.9.1917, S. 1. Man bezog sich u.a. auf Mitteilungen von Rubanovitj, der am
12.9. aus Petrograd nach Stockholm kam. Siehe auch Interview mit Rubanovitj in
schwed. Social-Demokraten 13.9.1917, S. 4.
5 Zur Bedeutung der innenpolitischen Veränderungen in
Deutschland auch den Bericht von Gustav Mayer, nachgewiesen in Dok. Nr. P/66,
Anm. 2, und den Bericht von Hermann Goldberg am 17.9.1917, in PA AA, WK Nr. 2
c, Bd. 10, S. 43-56; auch abgedruckt in Lademacher 1967/1, S. 559-566.
6 Vgl. die Beurteilung von Müller in seinem Brief an Ebert,
29.8.1917, abgedruckt in Blänsdorf 1969, S. 396-400.
7 Siehe Dok. Nr. P/62, Anm. 4.
8 Gespräche von V. Adler und Müller mit der russischen
Delegation, siehe Dok. Nr. P/47a, Anm. 5.
9 Siehe die Schreiben der MSPD-Delegation in Stockholm an das
Exekutivkomitee des Arbeiter- und Soldatenrats, 7.6.1917, und des
Parteivorstands der MSPD, der Generalkommission der Gewerkschaften und der
Stockholmer MSPD-Delegation an die russische Delegation/Rosanov, 20.7.1917,
abgedruckt in Sozialdemokratische Partei-Korrespondenz Nr. 22, 4.8.1917, S.
215; schwed. Social-Demokraten 23.7.1917, S. 1 (nach Vorwärts 21.7.).
10 Siehe auch Panins Artikel "Die Ereignisse in Rußland"
in Bulletin Arbeiter- und Soldatenrat Nr. 20, 8.9.1917, S. 1-3. - Siehe die
Beurteilung von Hermann Müller in seinem Brief an Ebert, 29.8.1917,
abgedruckt in Blänsdorf 1969, S. 396f. (396-400): Panin sei "ein ganz
blöder Polterer und sucht uns bei jeder Gelegenheit zu
diskreditieren".
11 G. Steklov (Stiklov) berichtete über seine, A.
Tjchenkelijs und J. Larinas (Lurjes) Eindrücke in Deutschland und
über die Gespräche mit Vorstandsmitgliedern der SPD auf der
Rückreise im Parteiausschuß der schwedischen sozialdemokratischen
Partei am 9.9.1914, in ARAB, SAP, A 2 A:7. Von deutscher Seite habe man die
Bewilligung der Kriegskredite mit Hinweis auf den Verteidigungskrieg, vor allem
gegen Rußland, begründet. Man habe erfahren, daß 14
Fraktionsmitglieder, u.a. Liebknecht, Gerisch, Ledebour und Haase gegen eine
Bewilligung gewesen seien. Auch andere hätten nur widerwillig zugestimmt.
Kautsky habe eine "prinzipiellere und deutlichere" Erklärung als die des
Parteisprechers David im Reichstag vortragen wollen. Im allgemeinen habe man
festgestellt, daß sich die Parteiführung der aufgepeitschten
Stimmung gebeugt habe. In der Parteipresse, jedoch nicht im Vorwärts,
hätten sich bedenkliche nationalistische Tendenzen gezeigt. Die Partei
wolle die Beziehungen zur russischen Sozialdemokratie aufrechterhalten und
eventuelle Mißverständnisse ausräumen. Man habe sich auch
bemüht, verhaftete russische Sozialdemokraten frei zu bekommen. Nach
Beendigung des Krieges wolle man alles tun, um Annektionen zu verhindern
12 Dazu Blänsdorf 1980.
13 In einem Interview, in schwed. Social-Demokraten 18.9.1917
hob Akselrod hervor, daß eine Bewegung für die Demokratisierung in
Deutschland für den Friedenskampf der Internationale
"außerordentlich wichtig" ("utomordentligt viktig") sei. Nur in diesem
Sinne müsse "ein Druck von außen" ("utifrån ett tryck") auf
die deutsche Arbeiterbewegung ausgeübt werden, nicht um nach russischem
Vorbild eine Revolution in Deutschland zu machen.
14 Am 9.7.1917 kündigte Hermann Müller dem
Holländisch-skandinavischen Komitee aus Kopenhagen an, daß 200
Exemplare der Broschüre über die MSPD-Friedenspolitik in russischer
Übersetzung "binnen kurzem" zur Verbreitung unter den russischen Genossen
zugeschickt wurden. In einem weiteren Schreiben am 1.8. wird mitgeteilt,
daß die Broschüre abgeschickt worden sei. In CHA, Stockholm, Corr.,
Juli 1917, Nr. 30, und Aug. 1917, Nr. 1.
15 Die Parteien, die die Friedensresolution im Deutschen
Reichstag am 19.7.1917 vorgelegt haben, MSPD, Zentrum und Fortschrittliche
Volkspartei.
16 Friedensresolution des Deutschen Reichstags; siehe oben Anm.
15.
17 Bericht im Exekutivkomitee des Arbeiter- und Soldatenrats am
22.9.1917, nachgewiesen in Dok. Nr. P/66, Anm. 2. Siehe auch oben Anm. 1.
18 In einem Nachtrag heißt es: "Dieser Bericht wurde am
15. September Sakasoff vorgelesen, der ihn für richtig hielt, dabei aber
noch auf Folgendes in den Bericht nicht Aufgenommene aufmerksam machte: Ehrlich
sagte in seiner Rede u.a., dass Sakasoff in einer Unterhaltung mit Panin vom
Separatfrieden gesprochen habe, das beweise, dass man an einen solchen denke.
Sakasoff bestritt das sofort und Panin gab sofort zu, dass Ehrlich ihn
missverstanden habe und davon nicht die Rede war."