Sitzung des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation der MSPD, 13. Juni 1917
Sitzung am 13. Juni. 1917.
Ebert berichtet über die beiden Aenderungen im Memorandum betr. Wiederherstellung und betr. Elsass-Lothringen.
Troelstra: Hieraus ersehen wir, dass Sie eine Untersuchung nach dem Kriege über die belgischen Schäden nicht ablehnen. Im Memorandum wird jetzt eine Untersuchung nach dem Kriege glatt abgelehnt. (S. 2c).
David: Wir haben allgemein den Gedanken ausgeprochen, dass nach dem Kriege eine Untersuchung stattfinden könnte. Aber eine Untersuchung, die dahin geht, welche Schäden von dieser oder jener Seite angerichtet wurden, ist unmöglich. Wir haben auch für Belgien eine besondere Untersuchung abgelehnt. Es handelt sich um eine Untersuchung von Schäden, wo es auch sei. Dabei haben wir auch gestern gesagt, dass bei der Untersuchung wahrscheinlich nichts herauskommen würde.2
Die Untersuchung ist wesentlich eine historische Untersuchung. Was zerstört wurde, war vielfach eine Folge des Volkskrieges. Im übrigen haben wir vorgeschlagen, dass für Staaten, die ausserstande sind, sich selbst abzubauen [aufzubauen], eventl. [eventuell] internationale Hilfe gegeben werden kann.
Troelstra: Die Frage behandeln Sie nicht für Belgien, sondern ganz allgemein. Das entspricht ganz Ihrem gestrigen Standpunkt. Sie schliessen jedoch nicht aus die Möglichkeit, dass für gewisse Gebiete, gewisse Arten der Kriegführung, gewisse Schäden nach dem Kriege eine Untersuchung durch unparteiische Kommissionen stattfinden kann.
Ebert: Vielleicht könnte an der betr.[effenden] Stelle gesagt werden, dass eine nachträgliche Feststellung des Ursprungs der Schäden "ungemein schwierig" ist statt "unmöglich".3
Troelstra: Vielleicht könnte auch gesagt werden, dass dort, wo sie möglich ist, nichts dagegen einzuwenden ist.
David: Es wird nichts dabei herauskommen. Von einer Voruntersuchung jetzt halten wir nichts. Es liegen ja eigentlich zwei Untersuchungen vor, eine belgische und eine deutsche. Auf eine kann eine Schadenersatzpflicht nicht aufgebaut werden.
Troelstra: Wenn Sie nicht aufrichtig Ihre Meinung ändern können, hat es keinen Zweck, über eine andere Formulierung zu sprechen.
Huysmans: Wir haben über die Schäden und Vorfälle unsere eigene Meinung. Wir wollten zur Vermittlung etwas tun, um die Völker näher zu bringen.
David: Wir haben gestern bereits gesagt, dass eine Untersuchung, wo es auch sei (z.B. auch Polen kommt in Frage) in einzelnen Fällen stattfinden könne. Wo anerkannte Fälle vorliegen, könnte bei Friedensschluss etwas geschehen. Dabei handelt es sich um Schadenersatz an den Staat. Schwieriger sind die Untersuchungen, wo der Volkskrieg in Frage kommt. Sollten auch ermordete deutsche Soldaten von Belgien entschädigt werden? Hier liegen unzählige Einzelfälle vor. Der Weg internationaler Hilfeleistung ist der praktische Weg, etwas zu leisten.
Troelstra: Eine Einseitigkeit muss ausgeschlossen sein. Wir wollen das auch nicht allein auf Belgien beziehen. Sie erklären sich also im Prinzip für eine nachträgliche Untersuchung, aber Sie halten sie praktisch für fast unmöglich. Es könnte vielleicht hinzugefügt werden, dass Untersuchungen in einzelnen Fällen durch unparteiische Kommissionen statfinden können.
Ebert: Uns erscheint es nicht zweckmässig, das ins Memorandum einzufügen. Aber die Troelstra'sche Deklaration könnte zu Protokoll gegeben werden, damit wären wir einverstanden.
David : Es könnte das nach aussen hin so verstanden werden, dass wir eine Schuld wegen des Volkskrieges anerkannten; das muss vermieden werden.
Albarda: Es handelt sich auch um Schäden anderer Art. In Fabriken wurden z.B. wichtige Maschinenteile entfernt.
Müller: Hierauf wurde in der gestrigen Debatte hingewiesen. Da käme bei uns auch der Vergleich mit dem Vorgehen der Engländer in unseren überseeischen Besitzungen in Frage, z.B. in unseren Handelsniederlassungen in Ostasien. Die wurden auch von den Engländern ausgeraubt und die Kundenlisten der Kaufleute wurden weggenommen.
David: Die Frage der Requisition haben wir gestern behandelt. Die letzte Schuld liegt hier bei England. Hier liegen ungeheure ökonomische Schäden vor. England würde dabei auf die Anklagebank kommen. Auch an den Schäden, die Belgien betroffen haben, ist England indirekt Schuld. Die Erklärung Bethmanns vom 4. August betrafen den durch den Durchmarsch verursachten Schaden, nicht den durch den Volkskrieg verursachten.
Ebert: Die Schwierigkeiten sind hier sehr gross. Auch beim Russeneinfall in Ostpreussen wurden landwirtschaftliche Maschinen weggenommen; es wurden Zivilpersonen weggeschleppt. Im Elsass haben die Franzosen Requisitionen gemacht und Zivilpersonen verschleppt, in unserm Mülhauser Konsumverein z.B. den Kutscher.4 In den besetzten deutschen Kolonien wurde den Deutschen alles Eigentum weggenommen.
Vidnes: Wir stehen vor der Tatsache, dass auf beiden Seiten solche Beschuldigungen erhoben werden.
David: Die Angelegenheit hat nur Sinn, wenn man alle Verstösse gegen das internationale Recht feststellen will. Dabei käme auch die Behandlung Griechenlands in Frage.
Troelstra: Durch eine Aenderung des Passus würde nicht viel gewonnen werden. Wir müssen den besten Weg suchen, damit nicht ein Scheinfrieden zustande kommt. Wenn der Krieg einmal vorbei sein wird, und es kämen dann täglich Berichte über das Ergebnis solcher Untersuchungen, würden täglich neue Debatten hervorgerufen und neuer Hass gesät werden.
Ebert berichtet über die Els[aß]Lothringen betr.[effenden] Aenderungen. Die Autonomie-Forderung ist schärfer formuliert worden.5
Es entsteht keine Debatte hierüber.
Es wird dann wegen der Publikation des Memorandums verhandelt.
Ebert schlägt vor, es mit einigen Vorbemerkungen morgen zu veröffentlichen und zwar im vollen Wortlaut. Bei Kürzungen könnte der Sinn gestört werden. Es ist zwar etwas ausführlich, aber das kann nicht in Betracht kommen.
Es wird ein Uebereinkommen getroffen, das Memorandum am Sonnabend vormittag zu veröffentlichen und zwar soll es gleichzeitig im Vorwärts, in der deutschen Parteipresse und in der skandinavischen Parteipresse an diesem Tag veröffentlicht werden. Es soll deshalb am Freitag abend den Journalisten hier gegeben werden.6
Ebert: Die Protokolle, die hier geführt wurden, sind keine wörtlichen Aufzeichnungen. Scheidemann und David konnten ihren Wortlaut an Hand der Aufzeichnungen nicht nachprüfen. Der Wortlaut soll genau übertragen werden, dann soll sich Gen.[osse] Engberg mit Müller verständigen.7
David's Rede wird gedruckt werden und kann dann im Wortlaut dem Protokoll angefügt werden.8 Wenn nötig, könnte David noch einige Fussnoten anfügen.
Ebert dankt für den grossen Ernst und den festen Willen jedes einzelnen Mitgliedes, dem grossen Ziel zu dienen, der Verständigung der Internationale und der Herbeiführung eines allgemeinen dauernden Friedens. Wenn auch positiv zunächst nichts erreicht sei, ist doch der Weg für später geebnet. Wir begrüssen es, dass eine Delegation des Bureaus nach Russland gehen will, um dort mit den Genossen Fühlung zu nehmen.9 Wir wünschen dieser Mission guten Erfolg. Was an uns liegt, die Arbeiten der Kommission zu fördern, wird geschehen. Besonders danken wir Troelstra für seine objektive Geschäftsführung.
Troelstra dankt für diese herzliche[n] Worte. Wir waren stets mit Ernst und Aufrichtigkeit bestrebt, der Sache zu dienen. Wenn auch nicht alle Wünsche erfüllt werden können, so danken wir doch für die Unterstützung. Es wurde keine unproduktive Arbeit geleistet. So wie die Dinge liegen, müssen die Deutschen ev.[entuell] nochmals kommen.
Schluss 1/2 12 Uhr.
Anmerkungen
1 Zu diesem Protokoll siehe den Kommentar in Dok. Nr. P/27a, Anm. 1. Die andere Version des Protokolls in Dok. Nr. P/34a und dort die jeweiligen Nachweise, die hier im einzelnen nicht wiederholt werden. - Siehe auch Dok. Nr. P/33c.
2 Siehe Dok. Nr. P/33a-b.
3 Siehe Dok. Nr. P/34a, Anm. 8.
4 "Kutscher" hschr. eingefügt; durchgestrichen: "Maschinensetzer".
5 Siehe Dok. Nr. P/33c, Anm. 3, und Dok. Nr. P/34a, Anm. 13.
6 In den in Dok. Nr. P/34a, Anm. 1, nachgewiesenen Notizen von Huysmans: "vendredi soir 8 h. - aux journalistes". Memorandum nachgewiesen in Dok. Nr. P/34a, Anm. 16.
7 Siehe Kommentar in Dok. Nr. P/27a, Anm. 1.
8 Nachweis in Dok. Nr. P/28a, Anm. 3.
9 Zum Plan, nach Petrograd zu reisen, siehe Dok. Nr. P/31a, Nr. P/33a-b, Nr. P/34a und Nr. P/35 sowie Dok. Nr. P/06a (mit Anm. 11).