An die Nachrichtenredakteure

RAF Document ID
0019720528
Author
RAF
Date
28.5.1972
Source
Originalkopie
Text

An die Nachrichtenredakteure der westdeutschen Presse, soweit sie nicht Springerpresse ist, und der Rundfunk- und Fernsehanstalten:

Willy Brandt hat in seiner Fernsehansprache am 26. Mai behauptet, für die Bombenattentate der letzten Wochen gebe es keine einsehbare politische Begründung, das Leben Unschuldiger sei durch sle gefährdet worden.
Der Bundeskanzler konnte mit diesen Behauptungen die Bevölkerung täuschen, weil die westdeutsche Presse die Erklärungen der Stadtguerillakommandos nahezu vollständig unterschlagen hat.
Stattdessen hat die Frankfurter Rundschau einen aus Buchntaben zusammengesetzten Brief verbreitet - dessen Charakter als Fälschung bei einem Vergleich mit authentischen Veröffentlichungen der RAF offensichtlich ist, - um den Eindruck zu vermitteln, die Bombenattentäter seien Wirrköpfe, die chaotisch handeln, was die Bevölkerung in der Tat beunruhigen müßte.
So unterscheidet sich die Erklärung des Kanzlers in nichts von ähnlichen Erklärungen der Generäle Franco und Patakos, von Howeida, den Nachfolgern Salazars, der türkischen Militärdiktatur:
nicht der Inhalt der Sache, nur ihre Verurteilung durch Kanzler und Kommentatoren ist bekannt gemacht worden.
Die Gründe für das Verfahren liegen auf der Hand:
Die Erklärung des Kommandos Thomas Weisbecker würde jeden einzelnen Polizisten dazu bringen, nochmal darüber nachzudenken, ob er sich an der Fahndung nach der Roten Armee Fraktion aktiv beteiligt oder nicht; Nachforschungen würden ergeben, daß daß Kommando 2. Juni den Springerkonzern rechtzeitig gewarnt hat, daß Springer wie immer lügt;
die Bevölkerung, die aus ihrer eigenen Geschichte weiß, was Völkermord ist und Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung, könnte sich ihre eigenen Gedanken machen über die Bombenanschläge gegen die Massennmörder von Vietnam; über den Faschismus des Springerkonzerns;
und es könnte kein Zweifel daran aufkommen, daß die Bombenanschläge ausschließlich gegen die Feinde des Volkes gerichtet sind, die Feinde der Arbeiterklasse, die Feinde des vietnamesischen Volkes, die Imperialisten.
"Wir sitzen alle in einem Boot" ist seit je die Parole der Ausbeuter und Faschisten.

Springer hat unter der Drohung weiterer Bombenanschläge die an ihn gestellten Forderungen, wenn auch verstümmelt, publiziert.
Die übrige Presse muß wissen, daß sie selbst Aktionen gegen den Springerkonzern provoziert, wenn sie sich aufgrund des ökonomischen Drucks, der von Springer ausgeht, freiwillig und opportunistisch dessen Zensurpraxis unterwirft.
Wir fordern sie deshalb auf, die Bevölkerung nicht länger über den politischen Inhalt der Bombenanschläge zu täuschen, d.h. die Situation nicht unnötig zu verschärfen.
Wir fordern sie auf, diese Erklärung, die Erklärung des Kommandos Thomas Weisbecker, des Kommandos 2. Juni, des Kommandos 15. Juli vollständig abzudrucken.

DEM VOLK DIENEN!
ENTEIGNET SPRINGER!

28. Mai 1972 - RAF