Interview Der Spiegel

RAF Document ID
0019750120_01
Author
Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan Raspe
Date
20.1.1975
Source
Originalkopie
Text

FRAGE: Verfolgt das RAF-Kollektiv eine neue Taktik? In den Gefängnissen geplante und gesteuerte Kampagnen sollen Ihnen in der Bevölkerung möglichst ebensoviel Aufmerksamkeit verschaffen wie 1972 Bomben und Granaten.
ANTWORT: Es geht nicht um Gerede über Taktik. Wir sind Gefangene und kämpfen im Moment mit der einzigen Waffe, die uns im Gefängnis und der Isolation geblieben ist: dem kollektiven Hungerstreik, um aus dem Vernichtungsprozeß, in dem wir sind - jahrelange soziale Isolation - rauszukommen. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, weil wir keine Wahl haben, als in diesem Hungerstreik zu gewinnen oder zu sterben oder durch Gehirnwäsche, Isolation, Sonderbehandlung psychisch und physisch vernichtet zu werden.
FRAGE: Kann denn von "Isolationsfolter" , gar von "Vernichtungshaft" die Rede sein? Sie lesen doch bündelweise Zeitungen, hören nach Bedarf Radio, hin und wieder sehen Sie fern. Herr Baader zum Beispiel verfügte zeitweise über eine Bibliothek von 400 Bänden. Sie haben Kontakte mit anderen RAF-Mitgliedern, kassibern kreuz und quer, empfangen Besuche, Ihre Anwälte gehen bei Ihnen ein und aus.
ANTWORT: Wenn man nur SPIEGEL- und Staatsschutzinformationen hat, fragt man sich das. Nach zwei, drei, vier Jahren sozialer Isolation nicht mehr, weiß man, daß man in einem Vernichtungsprozeß drin ist. Man hält das vielleicht ein paar Monate aus, aber nicht Jahre. Die Institutionalisierung der Gehirnwäsche durch Isolation zu verhindern, aufzubrechen ist für uns die Frage unseres Überlebens; davon hängt es ab, ob die Prozesse mit oder ohne uns stattfinden. Die Behauptung, es ginge uns mit diesem
Hungerstreik darum, uns haft- und verhandlungsunfähig zu machen, obwohl jeder weiß, daß haftunfähige politische Gefangene tote Gefangene sind, ist Countertaktik, Gegenpropaganda. Die Bundesanwaltschaft hat die Prozesse bis zu dreieinhalb Jahre verschleppt, um die Gefangenen in der Isolation, den Trakts, den Gehirnwäsche- und Psychiatrisierungskonstruktionen zu brechen. Die Bundesanwaltschaft ist es, die die Prozesse nicht mehr will, und wenn, dann ohne Angeklagte und Verteidiger - weil klargeworden
ist, daß sie als Schauprozesse gegen revolutionnäre Politik, als Selbsdarstellung imperialistischer Staatsmacht, auf die Buback aus sein muß, nur ohne uns inszeniert werden können.
FRAGE: Trotz ständiger Wiederholungen werden Unwahrheiten nicht glaubwürdiger, und die Öffentlichkeit hat längst begriffen, daß diese Unwahrheiten wider besseres Wissen lanciert werden, um Justiz und Öffentlichkeit zu verunsichern, was Ihnen durchaus gelungen ist.
ANTWORT: Weil es sich um Tatsachen handelt, deren politische Relevanz Sie nicht aus der Welt schaffen, indem Sie sie bestreiten.
FRAGE: Sie sitzen in Untersuchungshaft wegen des dringenden Verdachtes, schwere Verbrechen wie Mordversuch und Mord begangen zu haben. Unterliegen Sie nicht den gleichen Haftbedingungen wie andere Untersuchungshäftlinge?
ANTWORT: Wir fordern die Aufhebung der Sonderbehandlung, und es geht nicht nur um Untersuchungsgefangene. Bei politischen Gefangenen - und wir sagen: Jeder proletarische Gefangene, der seine Lage politisch begreift und die Solidarität, den Kampf der Gefangenen organisiert, ist ein politischer Gefangener, egal, aus welchem Anlaß er kriminalisiert wurde - unterscheidet die Justiz nicht. Sie isoliert auch Gefangene, die schon verurteilt sind, zum Teil seit vier Jahren, so Werner Hoppe, Helmut Pohl, Rolf Heissler, Ulrich Luther, Siegfried Knutz. Es gibt Tausende, die das Gefängnissystem hier schindet und die, wo sie anfangen, sich zu wehren, durch Isolation gebrochen werden. Dagegen kämpft dieser Streik als eine kollektive Aktion: gegen die Institutionalisierung der Isolation. Wo in den alten Gefängnissen die Isolationsmaschinen fehlen - die Trakte für "Vollzugsstörer" -, das soll heißen: für die, die die Unmenschlichkeit, die an ihnen vollzogen wird, stören -, werden sie eingebaut: so in Tegel, in Bruchsal, in Straubing, in Hannover, in Zweibrücken und so weiter. Die neuen Gefängnisse bilden im Konstruktionsprinzip ihrer Architektur die Isolation als Vollzugskonzeption ab - die sich in der BRD eben nicht an schwedischen Modellen, sondern an den amerikanischen Erfahrungen und Methoden mit faschistischen Rehabilitationsprogrammen orientiert.
FRAGE: Sagen Sie doch einmal konkret, worin die von Ihnen so genannte Sonderbehandlung besteht. Wir haben die gegenwärtigen Haftbedingungen des RAF-Kollektivs recherchiert. Spuren von "Sonderbehandlung" haben wir nicht ausmachen können, es sei denn eine Reihe von Privilegien.
ANTWORT: Nichts haben Sie recherchiert. Sie haben sich vom Staatsschutz und von der Bundesanwaltschaft informieren lassen. Sonderbehandlung heißt acht Monate toter Trakt für Ulrike, Astrid. Jahrelange soziale Isolation für alle Gefangenen aus der RAF. Gerichtlich beschlossene Zwangsnarkotisierungen zu "Ermittlungszwecken". Jahrelange Fesselung im Hof. Dauernde gerichtlich angeordnete "Anwendung unmittelbaren Zwanges", was bedeutet Quälereien in Beruhigungszellen, beim Transport, bei Vernehmungen, bei Gegenüberstellungen, bei Besuchen. Die Zensur von Zeitungen. Sondergesetze. Besondere Gebäude für Prozesse gegen Gefangene aus der RAF in Kaiserslautern und Stammheim - der für 150 Millionen Mark zum Staatsschutztatoo aufgeblasene Prozeß in Stammheim in einer Betonfestung, die schon jetzt Polizeieinheiten aus drei Ländern umlagern, obwohl es so aussieht, als würden zu diesem Prozeß weder Angeklagte noch ihre Verteidiger zugelassen - falls die Justiz überhaupt noch Angeklagte übrigläßt. Behinderung der Verteidigung, die Veröffentlichung von Verteidigermaterial, Aktenteilen und Staatsschutzdossiers in den Kampagnen der Regierung zur Konditionierung der Urteile und zur Ausschaltung der Verteidigung. Die Springerpresse hat Akten vor der Verteidigung, und sie hat Akten, die den Verteidigern von der Bundesanwaltschaft vorenthalten werden. Die Verteidiger werden Tag und Nacht observiert. Ihre Post wird abgefangen, ihre Telephone werden abgehört, ihre Büros durchsucht. Die Anwälte werden durch Ehrengerichtsverfahren, Strafanzeigen wegen ihrer Öffentlichkeitsarbeit diszipliniert. Verwandte und Besucher werden vom Staatsschutz unter Druck gesetzt - auch an ihren Arbeitsplätzen. Sie werden durch offene Observation terrorisiert. Wer uns schreiben oder besuchen will, wird bespitzelt und in den Karteien des Staatsschutz erfaßt. Es gibt, unter dem Druck des Hungerstreiks, etwas Kosmetik, Dinge, Sachen, auf die die Ministerien Filmteams ansetzen. Grundsätzlich geändert hat sich nichts. Tatsache ist die mit tödlicher Präzision durchorganisierte, technisierte Isolation innerhalb der Gefängnisse - jetzt stundenweise zu zweit. Das hält den Zerstörungsprozeß nicht auf, es bleibt ein geschlossenes System. D.h. die Gehirnwäsche soll weitergehen - soziale Interaktion unmöglich bleiben. Und die Isolation nach außen wird durch den Ausschluß der Verteidiger - beziehungsweise die Beschränkung ihrer Zahl auf drei - perfektioniert. Geht man von Possers Satz aus - sechs Jahre Untersuchungshaft zum Beispiel für uns - und der Verantwortung der Bundesanwaltschaft für die Verschleppung der Prozesse, wird klarer, was Vernichtungshaft bedeutet. Widerlegen Sie uns mal in einem einzigen dieser "Privilegien".
FRAGE: Zuerst haben Sie die Zwangsernährung von Hungerstreikenden als faschistische Machination bezeichnet, dann, nach dem Hungertod von Holger Meins, von "Mord auf Raten" gesprochen. Ist das kein Widerspruch?
ANTWORT: Nicht wir haben davon gesprochen, aber die Zwangsernährung ist ein taktisches Mittel, um dem Hungerstreik nach außen - dem Schein nach - die Spitze zu nehmen, tatsächlich, um den Mord zu verschleiern - wie die Intensivstationen, die in den Gefängnissen eingerichtet worden sind, um sagen zu können, man hätte "alles getan", obwohl das Einfachste nicht getan wurde: die Isolation aufgehoben, die Sonderbehandlung. Holger Meins ist durch systematische Unterernährung gezielt hingerichtet worden, wie die Zwangsernährung in Wittlich von Anfang an auf den Mord angelegt worden ist. Anfangs durch die Brutalität, die direkte Gewalt, mit der sie durchgeführt wurde, um seinen Willen zu brechen - später, indem sie nur zum Schein durchgeführt wurde. Bei 400 Kalorien am Tag ist es nur eine Frage der Zeit, schließlich nur von Tagen, bis einer stirbt. Daß er so lange in Wittlich blieb, bis er tot war, haben Buback und die Sicherungsgruppe arrangiert. Am 21. Oktober hatte das OLG Stuttgart Holgers Verlegung nach Stuttgart-Stammheim bis spätestens 2. November angeordnet. Bereits am 24. Oktober teilte Buback dem Gericht mit, daß die Sicherungsgruppe den Verlegungstermin nicht einhalten würde - eine Mitteilung, die allerdings erst nach der Ermordung von Holger bekannt geworden ist. Schließlich hat der Gefängnisarzt Hutter die Zwangsernährung ganz eingestellt und ist verreist. Dazu kommt, daß sich das BKA laufend, während der ganzen Dauer des Streiks, "nachrichtlich" durch die Anstaltsleitungen über den Zustand der Gefangenen informieren läßt und Hutter sich, bevor er sich zurückzog, weil Holger im Sterben lag, bei Degenhardt rückversichert hat - was nichts anderes heißt, als sich noch mal versichern lassen, daß es gegen ihn kein Strafverfahren geben wird, wie alle Verfahren gegen Degenhardt eingestellt worden sind. Degenhardt ist der Arzt, der im Sommer 73 während des 2. Hungerstreiks in Schwalmstadt "aus medizinischen Gründen" neun Tage lang das Wasser entzogen hat - bis zum Koma. Der Arzt, auf den Buback sich gegenüber Frey, der die Gefangenen aus Zweibrücken behandelt hat, als Kapazität bezogen hat. Holger ist nach der Planung und Manipulation des Transportzeitpunktes - die Lücke, in der die Bundesanwaltschaft/Sicherungsgruppe direkt die Finger auf die Gefangenen legen kann - planmäßig hingerichtet worden. Daß es keinen Journalisten gibt, der das ausrecherchiert und veröffentlicht, sagt nichts zur Sache, sagt alles über die Zusammenarbeit, Komplizenschaft und personelle Verschmelzung der Medienkonzerne mit dem Staatsschutz: Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Geheimdienste.
FRAGE: Ihre Lesart über den angeblichen "Mord auf Raten" an Meins akzeptieren wir keineswegs. Sie vermittelt uns den Eindruck einer Verfolgungspsychose, die nach Jahren Untergrund und Haft durchaus verständlich wäre. Das Verhalten des Anstaltsarztes Hutter haben wir im SPIEGEL kritisiert; gegen Hutter ermittelt die Staatsanwaltschaft.
ANTWORT: Es geht nicht um Hutter, irgendeinen der Gefängnisärzte - denn sie entscheiden praktisch nichts. Die Knastmedizin ist hierarchisch organisiert, und Hutter ist - wenn überhaupt - nur die Figur, die faßbar ist. Ein Schwein, aber ein kleines - verantwortlich wird er höchstens gemacht, obwohl auch daran niemand glaubt, der den Vollzug und die Funktion der Vollzugsmedizin kennt. Was Sie "kritisiert" nennen, ist die alte Masche - die" Mißstände", damit der Mißstand nicht begriffen wird: die Klassengesellschaft, ihre Justiz und ihre Gefangenenlager. Angesichts der Situation in den Gefängnissen, der faschistischen Demagogie um diesen Streik in den Medien und den Sängerkriegen der Berufspolitiker - die unkontrollierte Reaktion auf eine gewaltlose Aktion einer kleinen Gruppe aus der äußersten Defensive, gefangen, isoliert wie auf einen militärischen Angriff - Strauß sprach von Kriegsrecht - zeigt, wie zerfressen die Legitimationsdecke des Systems von seiner ökonomischen und politischen Krise ist. Suchen Sie da die Krankheit, statt angesichts des realen staatlichen Vernichtungsinteresses an den Gefangenen aus der RAF von Verfolgungspsychosen zu quatschen.
FRAGE: Die Briten haben unlängst Zwangsernährung beispielsweise von IRA-Terroristen abgeschafft. Sofort war Schluß mit den Hungerstreiks. Wie würden Sie sich verhalten?
ANTWORT: Das ist nicht unser Problem. Die CDU verlangt die Einstellung der Zwangsernährung, wie sie überhaupt den Ausnahmestaat, den Faschismus offen ansteuert, während die SPD ihrem Wählerpotential und ihrer Geschichte nach dasselbe Ziel - Faschisierung, Vordringen des Staates in alle Lebensbereiche, vollständige Militarisierung der Politik und die Manipulation, Indoktrination des Volkes im Sinn der außen- und innenpolitischen Ziele des westdeutschen Imperialismus durch die Medien als Politik für das Volk, die "sozial Schwachen", als Reform verkaufen und verschleiern muß. So propagiert die CDU offen den Mord, während die SPD laviert, die Morde als "Selbstmorde" zu verschleiern versucht, sich nicht offen zur harten Linie des Staatsschutzes bekennen kann, der letzten Endes über unsere Haftbedingungen entscheidet.
FRA GE: Sehen Sie nicht schon wieder Gespenster? Gehen nicht alle bisher bekanntgewordenen RAF-Äußerungen von unhaltbaren Analysen über diesen Staat, diese Gesellschaft, diese SPD, diese CDU, diese Justiz aus?
ANTWORT: Es ist ein bißchen albern, was Sie hier andrehn. Was Sie "unhaltbar" nennen, ist nur nicht zu vermarkten und unser Standpunkt: proletarische Gegenmacht, zu Ihrem: imperialistische Macht - ein Antagonismus, analytisch und praktisch. Über Mangel, Wirkung und Basis revolutionärer Politik - die zu bestreiten Ihr Job ist - gegenüber einem Journalismus zu reden, der sich längst offen zu seiner affirmativen Funktion in dem Staat bekennt, dessen Negation proletarische Politik ist - wäre ein Zeichen mangelnder Analyse. Die Frage an uns - als eine Frage des SPIEGEL - ist sinnlos. Theorie und Praxis werden eine Einheit nur im Kampf - das ist ihre Dialektik. Wir entwickeln unsere Analyse als Waffe - so ist sie konkret, und nur wo wir ihre Veröffentlichung so bestimmen können, ist sie bekanntgeworden.
FRAGE: Sie wollen erst dann aufhören zu hungern, wenn Ihre Bedingungen erfüllt sind. Haben Sie Aussicht auf Erfolg? Werden Sie andererseits eskalieren und beispielsweise auch noch in den Durststreik treten, wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden? Welche weiteren Aktionen im Gefängnis und außerhalb planen Sie?
ANTWORT: Noch glaubt Buback, durch Mord und Zwangspsychiatrisierung, wozu in den Gefängnissen Intensivstationen aufgebaut worden sind, in denen wir 24 Stunden am Tag angeschnallt, mit Psychopharmaka in einen Dämmerschlaf versetzt, in vollständiger physischer und geistiger Bewegungslosigkeit zwangsernährt werden sollen, und psychologische Kriegführung, Counterpropaganda den Hungerstreik brechen und dazu benutzen zu können, uns zu vernichten. Die publizistische Unterstützung, die Buback braucht, hatte er u.a. in der Initiative von Heinemann, aber auch in dem an Faschismus in Worten präzisen SPIEGEL-Essay von Ditfurth, für den Folter, Mord, Zwangspsychiatrisierung nur Vehikel seiner zynischen Masche sind, um das politische Klima, um den Streik zu brutalisieren. Als Carstens Mitte November damit anfing, den Mord an uns offen zu propagieren, gab es noch so was wie einen Schock, Widerspruch und Entsetzen in der Öffentlichkeit. Es war Heinemanns Funktion, Bedenken, wo es sie noch gab, gegenüber der harten Linie von Buback auszuräumen; bei den Intellektuellen, Schriftstellern, bei der Kirche. Wie es die Rolle dieser Figur schon immer ist, die aggressiven Inhalte der Politik des westdeutschen Imperialismus in eine Sprache und Umgangsform zu kleiden, die dem Schein nach, dem Stil, dem, was er dabei an Assoziation manipuliert, humanistische Inhalte meint. Heinemanns Briefe, auf den Begriff gebracht, waren die Aufforderung an uns, uns der Gehirnwäsche zu unterwerfen oder dem Mord. Wie er als Präsident Ruhland begnadigt hat, hat er mit seinen Briefen die Todesurteile der Bundesanwaltschaft gegen uns propagiert, mit dem humanistischen Gestus das Gewissen seiner Anhänger entlastend. Worum es ihm ging - wie es ihm Ostern 1968 und während seiner Präsidentschaft darum ging, die Studenten, die alten Antifaschisten, die neue Linke in den neuen Faschismus zu integrieren - , war, das Terrain für die Morde vorzubereiten. Wir werden eskalieren und in den Durststreik treten. Wir planen weder drin noch draußen Aktionen, denn wir sind gefangen und isoliert.
FRAGE: Kam dem RAF-Kollektiv der Tod von Holger Meins gelegen?
ANTWORT: Das ist faschistische Projektion, eine Überlegung, die überhaupt nur einer anstellen kann, der nichts anderes mehr denken kann als den Markt - das System, das alles menschliche Leben zum Objekt von Geld, Egoismus, Macht, Karriere reduziert. Wir sagen wie Che: "Der Guerrillero soll sein Leben nur dann aufs Spiel setzen, wenn es unbedingt erforderlich ist, dann aber, ohne einen Augenblick zu zögern", und ganz sicher hat Holgers Tod "die Resonanz der Geschichte", das heißt der durch antiimperialistischen bewaffneten Kampf aufgewachten, in die Geschichte eingetretenen Völker der Welt. "Kam gelegen" soll heißen, weil er den Nachrichtenboykott gegen den Streik aufgebrochen hat. Denn, daß es viele gibt, die überhaupt erst aufwachen, wenn einer bereits ermordet worden ist, erst dann begreifen, worum es geht, liegt auch an Ihnen. So hat der SPIEGEL acht Wochen lang den Hungerstreik von 40 politischen Gefangenen verschwiegen, um Solidarisierung, Schutz zu verhindern. Ihr erster Bericht kam am 53. Streiktag, fünf Tage vor Holgers Tod.
FRAGE: Nehmen Sie weitere Todesfälle sehenden Auges in Kauf?
ANTWORT: Buback wartet an seinem Schreibtisch darauf.
FRAGE: Sie können sich denken, daß wir einen solchen Verdacht ungeheuerlich finden.
ANTWORT: Oestreicher, der Vorsitzende von Amnesty England, als professioneller Menschenrechtler bei seinem Vermittlungsversuch durchaus auf der Seite des Staates, war nach einem Gespräch mit Buback "entsetzt" darüber, daß Buback "eiskalt mit dem Leben der Gefangenen pokert". So wörtlich.
FRAGE: Von welcher Analyse des Tatbestands Bundesrepublik gehen Sie aus?
ANTWORT: Imperialistisches Zentrum. US-Kolonie. US-Militärbasis. Imperialistische Führungsmacht in Westeuropa, der EG, zweitstärkste Militärmacht der Nato. Interessenvertreter des US-Imperialismus in Westeuropa. Die Verschmelzung des westdeutschen Imperialismus - politisch / ökonomisch / militärisch / ideologisch, über das identische Ausbeutungsinteresse in den Ländern der Dritten Welt und die Homogenität der gesellschaftlichen Struktur durch Kapitalkonzentration und Konsumentenkultur - mit dem US-Imperialismus definiert die Rolle der Bundesrepublik gegenüber den Ländern der Dritten Welt als Partei in den Kriegen, die der US-Imperialismus gegen sie führt, als "Stadt" im weltrevolutionären Prozeß der Einkreisung der Städte durch die Dörfer . Insofern ist die Metropolenguerilla Stadtguerilla im doppelten Sinn des Wortes: Sie entsteht, operiert, entwickelt sich in den Großstädten, geographisch und ist Stadtguerilla im strategischen, im politisch-militärischen Sinn, indem sie die Unterdrückungsmaschine des Imperialismus von innen, in den Metropolen angreift, als Partisaneneinheit im Rücken des Feindes kämpft. Das ist es, was wir unter proletarischem Internationalismus heute verstehen. Das eine: Daß die Bundesrepublik Teil des Staatensystems des US-Imperialismus ist, nicht eine unterdrückte, sondern selbst eine Unterdrückernation. In solch einem Staat kann die Entwicklung von proletarischer Gegenmacht, Befreiungskampf, die Zerrüttung der herrschenden Machtstruktur von Anfang an nur internationalistisch sein, ist nur im strategischen und taktischen Zusammenwirken mit den Befreiungskämpfen der unterdrückten Nationen möglich. Geschichtlich: Seit 1918/19 hat in den Klassenkämpfen in Deutschland die imperialistische Bourgeoisie, ihr Staat, die Initiative und ist in der Offensive gegen das Volk - bis zur völligen Zerschlagung der Organisationen des Proletariats im Faschismus, bis zur Niederlage des alten Faschismus, nicht durch bewaffneten Kampf hier, sondern die sowjetische Armee und die Westalliierten bis heute. Es gab in den zwanziger Jahren den Verrat der Dritten Internationale, die völlige Orientierung der kommunistischen Parteien auf die Sowjet-Union, so die Unfähigkeit der KPD zu einer an der proletarischen Revolution/Eroberung der politischen Macht durch bewaffneten Kampf orientierten Politik zu kommen, die im Proletariat Klassenidentität und revolutionäre Energie hätte entwickeln können - nach 1945 die Gehirnwäscheoffensive des US-Imperialismus gegen das Volk mit Antikommunismus, Konsumentenkultur, der politischen, ideologischen, schließlich militärischen Restauration/Refaschisierung im Kalten Krieg und einer DDR, die kommunistische Politik nicht als Befreiungskampf vermittelt hat. Es hat hier nicht wie in Frankreich, Italien, Jugoslawien, Griechenland, Spanien, selbst Holland massenhaften, bewaffneten antifaschistischen Widerstand gegeben. Ansätze dazu sind seit 1945 von den Westalliierten sofort zerbrochen worden. Das alles heißt für uns und die legale Linke hier: Es ist nichts da, woran wir anknüpfen, worauf wir uns historisch stützen, was wir organisatorisch oder im Bewußtsein des Proletariats voraussetzen könnten, nicht einmal demokratische, republikanische Traditionen. Innenpolitisch ist das einer der Gründe, weshalb der Faschisierungsprozeß, das Über- und Auswuchern des Polizeiapparates, der Staatsschutzmaschine als Polizeistaat im Staat, die faktische Beseitigung der Gewaltenteilung, die Verabschiedung von faschistischen Sondergesetzen im Rahmen des Programms "innere Sicherheit" - von den Notstandsgesetzen bis zu den Sondergesetzen jetzt, politische Verfahren ohne Angeklagte und Verteidiger als reine Schauprozesse durchführen zu können, aber auch der Ausschluß von "Radikalen" aus dem öffentlichen Dienst, die Erweiterung der Kompetenzen des Bundeskriminalamtes - so reibungslos möglich ist. Eine Demokratie, die nicht erkämpft, dem Volk nur aufgestülpt wurde, hat keine Massenbasis, kann nicht verteidigt werden, wird es nicht. Das alles sind spezifische Bedingungen des politischen Territoriums Bundesrepublik.
FRAGE: Bisher haben Sie mit Bomben und Parolen immer nur die Zustimmung ganz kleiner Gruppen gefunden, intellektueller und anarchistischer Mitläufer. Glauben Sie, das noch ändern zu können?
ANTWORT: Es gibt die ökonomischen, politischen, militärischen, ideologischen Rückwirkungen der Befreiungskriege der Völker der Dritten Welt auf die Metropolengesellschaft - Was Lin Piao "dem Imperialismus die Füße abschlagen" nannte. Sie verschärfen die Widersprüche in den Metropolen. Die Mittel und Methoden des Systems, sie zu unterdrücken, lösen sich auf. Reform wird Repression. In dem Maße, in dem die Mittel im sozialen Bereich fehlen, wird der Militär- und Polizeiapparat unter enormen Kosten aufgebläht. Die zwangsläufige Entwicklung, die in der Krise des Systems läuft: Verarmung im Volk, Militarisierung der Politik, verschärfte Repression. In diesen Zerfallsprozeß aus der historischen und politischen Defensive eingreifen zu können, ist die Bedingung revolutionärer Politik hier.
FRAGE: Häufig wird Ihnen absoluter Mangel an Einfluß auf die Masse und Verbindung zur Basis nachgesagt. Ist das auf Realitätsferne des RAF-Kollektivs zurückzuführen? Haben Sie inzwischen Ihre Optik geschärft? Aufsehen erregen Sie nach Meinung vieler nur noch, wo sie Mitleid erregen, nicht einmal bei der radikalen Linken finden Sie demnach Zustimmung. Wo machen Sie Ihre Anhänger aus?
ANTWORT: Es gibt die Spur der Politik der RAF. Keine Anhänger, keine Mitläufer und keine Nachfolgeorganisationen, aber die RAF und die Wirkung unserer Politik - auf der Ebene, daß viele an den Maßnahmen der Regierung gegen uns ihre Einstellung zu diesem Staat ändern, anfangen, ihn als das zu erkennen, was er ist: die Unterdrückungsmaschine der imperialistischen Bourgeoisie gegen das Volk; auf der Ebene, daß sie sich mit unserem Kampf identifizieren, selbstbewußt werden - die Absolutheit der Macht des Systems sich in ihrem Denken/Fühlen, schließlich Handeln relativiert, sie erkennen, daß man was machen kann, das Gefühl der Ohnmacht nicht die objektive Wirklichkeit widerspiegelt - auf der Ebene des proletarischen Internationalismus, des Bewußtseins des Zusammenhangs der Befreiungskämpfe in der Dritten Welt und hier, des Bewußtseins der Möglichkeit und der Notwendigkeit des Zusammenschlusses, der Zusammenarbeit, legal und illegal. Auf der Ebene der Praxis: Daß es nicht genügt, nur zu reden, daß es möglich und notwendig, notwendig und möglich ist: zu handeln.
FRAGE: Wollen Sie Kader sein und bleiben und den Umsturz im Alleingang herbeiführen, oder glauben Sie immer noch, proletarische Massen mobilisieren zu können?
ANTWORT: Es gibt keine Revolutionäre, die den "Umsturz im Alleingang" durchführen wollen, das ist eine Absurdität. Es gibt keine Revolution ohne das Volk. Solche Behauptungen gegen Blanqui, gegen Lenin, gegen Che, jetzt gegen uns waren nie etwas anderes als eine Denunziation revolutionärer Initiative überhaupt, in der die Berufung auf die Massen nur die Funktion hat, reformistische Politik zu verkaufen, zu rechtfertigen. Es geht nicht um den Alleingang, sondern darum, aus den Tageskämpfen, Mobilisierungen und Organisationsprozessen der legalen Linken eine politisch-militärische Avantgarde, einen politisch-militärischen Kern zu schaffen, der eine illegale Infrastruktur - die Voraussetzung, Bedingung von Handlungsfähigkeit ist - unter den Bedingungen der Verfolgung, der Illegalität, der Praxis entwickeln muß und der den legalen Kämpfen in der Fabrik, im Stadtteil, auf der Straße, an den Universitäten erst Kontinuität, Orientierung, Stärke, Ziel geben kann zu dem, worum es in der Entwicklung der ökonomischen und politischen Krise des imperialistischen Systems gehen wird: der Eroberung der politischen Macht. Die Perspektive unserer Politik - die Entwicklung, um die wir kämpfen: eine starke Guerillabewegung in den Metropolen - ist in diesem Prozeß der endgültigen Niederlage, des Zerfalls des US-Imperialismus eine notwendige Vermittlung, eine Etappe, sollen die legalen Kämpfe und die Kämpfe, die sich aus den Widersprüchen des Systems spontan entwickeln, nicht bei ihrem ersten Auftreten von der Repression zerschlagen werden. Was für Lenin die bolschewistische Kaderpartei war, ist unter den Bedingungen der multinationalen Organisation des Kapitals, der transnationalen Struktur der imperialistischen Repression nach innen und nach außen heute die Organisation proletarischer Gegenmacht, die aus der Guerilla entsteht. Sie entwickelt sich in diesem Prozeß - national und international - zur revolutionären Partei. Es ist dümmlich, uns beim Stand der gegenwärtigen antiimperialistischen Kämpfe in Asien, Lateinamerika, Afrika, in Vietnam, Chile, Uruguay, Argentinien, Palästina mit einem Begriff wie "Alleingang" zu kommen. Es gibt auch in Westeuropa nicht nur die RAF - es gibt die IRA, die ETA, bewaffnet kämpfende Gruppen in Italien, in Portugal, in England. Es gibt in Nordamerika seit 1968 Stadtguerillagruppen.
FRAGE: Ihre Basis soll zur Zeit aus rund 40 einsitzenden RAF-Genossen und schätzungsweise rund 300 Anarchisten im Untergrund der Bundesrepublik bestehen. Wie steht es um die Sympathisantenszene?
ANTWORT: Das ist eine der ziemlich beliebig wechselnden Zahlen des Bundeskriminalamtes. Sie ist falsch. Bewußtseinsprozesse sind nicht so platt zu quantifizieren. Es läuft im Moment eine Internationalisierung der Solidarität. Parallel einer sensibleren internationalen Öffentlichkeit gegenüber dem immer offeneren Auftreten des westdeutschen Imperialismus entsteht auch Sensibilität für seine innerstaatliche Repression. Es laufen in der legalen Linken, seit es die RAF gibt, Diskussions- und Polarisierungsprozesse an der Frage bewaffneter Politik. Es bildet sich ein neuer Antifaschismus heraus, nicht mehr nur unpolitisch als Mitleid mit Verfolgten und Opfern, sondern in der Identifikation mit antiimperialistischem Kampf, gegen die Polizei, den Staatsschutz, die multinationalen Konzerne, gegen den US-Imperialismus. Helmut Schmidt hätte in seiner Neujahrsansprache die Praxis der RAF nicht unter den fünf den Imperialismus am meisten bedrohenden Tatsachen/Entwicklungen des Jahres 1974 aufgezählt - Weltinflation, Erdölkrise, Guillaume, Arbeitslosigkeit, RAF - wenn wir Fische auf dem Trockenen wären, wenn revolutionäre Politik hier eine so schmale Basis hätte, wie Sie und die psychologische Kriegführung es für zweckmäßig halten, zu behaupten.
FRAGE: Als Ihre wichtigste Hilfstruppe - so heißt es immer wieder - gelte derzeit jenes Dutzend Anwälte, das drinnen wie draußen für Kommunikation und Koordination sorgt. Welche Rolle spielen Ihre Advokaten?
ANTWORT: Die engagierter Verteidiger. Anwälte, die mit unseren Verfahren zu tun haben, politisieren sich zwangsläufig, insofern sie auf Schritt und Tritt, buchstäblich von ihrem ersten Knastbesuch bei einem Gefangenen aus der RAF an, erleben, daß nichts mehr von dem, was sie als Organe der Rechtspflege einmal für selbstverständlich hielten, noch funktioniert. Leibesvisitationen, Postkontrolle, Zellenrazzien, Hetze, Verdächtigungen, Ehrengerichtsverfahren, Kriminalisierung, psychologische Kriegführung, maßgearbeitete Gesetze zu ihrem Ausschluß, dazu die Erfahrung unserer Sonderbehandlung, ihre völlige Ohnmacht, daran auf dem normalen Weg, nämlich mit juristischer Argumentation gegenüber den Gerichten, das Geringste zu ändern; die permanente Erfahrung, daß nicht die Richter, sondern die Sicherungsgruppe Bonn und die Bundesanwaltschaft alle uns betreffenden Entscheidungen fällen - hat sie an dem Widerspruch zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Rechtsstaatsfassade und Polizeistaatswirklichkeit, zu Verteidigern des Rechtsstaats, zu Antifaschisten gemacht. Es gehört zur Countertaktik der Bundesanwaltschaft, des Bundeskriminalamtes, diese Anwälte mit uns zu identifizieren - "Hilfstruppe" , was sie nicht sind. In dem Maß, wie die Justiz in den Verfahren gegen uns vom Staatsschutz vereinnahmt, für die Zwecke von Counterinsurgency, der Vernichtungsstrategie der Bundesanwaltschaft gegen uns instrumentalisiert ist, werden Verteidiger, die von der Gewaltenteilung ausgehen, zu Sand im Getriebe der Faschisierung, zwangsläufig - und so bekämpft.
FRAGE: Haben Sie Abgrenzungsprobleme zu anderen noch im Untergrund operierenden Anarcho-Gruppen?
ANTWORT: Nicht dem SPIEGEL gegenüber.
FRAGE: Wie steht es mit der "Bewegung 2. Juni", die den Mord an West-Berlins oberstem Richter von Drenkmann für richtig hält?
ANTWORT: Fragen Sie das den 2. Juni.
FRAGE: Wie sehen Sie das: Haben sich die Drenkmann-Mörder etwa verdient gemacht?
ANTWORT: Drenkmann ist nicht oberster Richter einer fast Drei-Millionen-Stadt geworden, ohne Tausenden von Menschen das Leben zerstört, das Recht auf Leben bestritten, sie aufgrund Paragraphen erwürgt, in Zellengefängnisse gesperrt, ihre Zukunft zerstört zu haben. Es sind auch nur 15 000 Berliner, in einer Stadt, die früher bei antikommunistischen Hetzveranstaltungen Fünfhundert- und Sechshunderttausende auf die Beine brachte, zu der Trauerfeier gegangen, trotz des Aufgebots höchster westdeutscher Prominenz: Bundespräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Sie wissen selbst, daß die Empörung über diesen Schlag gegen die Berliner Justiz Propaganda ist und Heuchelei, daß niemand dieser Maske nachtrauert, daß das Pflichtübungen bürgerlicher, imperialistischer Kommunikation waren. Daß die Empörung Anpassungsreflexe in einem bestimmten politischen Klima ausdrückte, nicht mehr. Wer sich, ohne selbst herrschende Elite zu sein, spontan mit so einer Justizmaske identifiziert, sagt nur über sich selbst, daß, wo Unterdrückung herrscht, er sich selbst nur auf der Seite der Unterdrücker denken kann. Klassenanalytisch waren die Drenkmannproteste, wo sie von Linken und Liberalen kamen, nur entlarvend.
FRAGE: Was wir wissen, ist etwas ganz anderes. Wir wissen, daß Drenkmann erschossen worden ist, und wir halten die RAF-Rechtfertigung für diesen Mord, die auf Lynchjustiz für angeblich begangene Kollektivvergehen der von Ihnen als faschistisch verketzerten Justiz hinausläuft, für eine Zumutung. Selbst wenn man, wie offenbar Sie es tun, die Maxime akzeptierte, der Zweck heilige die Mittel, so war der Drenkmann-Mord im Hinblick auf seine öffentliche Wirkung eine Niederlage für das RAF-Kollektiv.
ANTWORT: der sinn eines mittels ist sein zweck. Wir rechtfertigen nichts. Revolutionäre Gegengewalt ist nicht nur legitim, sie ist unsere einzige Möglichkeit, und wir wissen, daß sie in ihrer Entwicklung der Klasse, für die Sie schreiben, andere Anlässe bigotter Selbstdarstellung zumuten wird als den Versuch, einen Richter gefangenzunehmen. Die Aktion ist stark - als Ausdruck unserer Liebe, unserer Trauer und unserer Wut über die Ermordung eines gefangenen Kämpfers. Wenn es Begräbnisse geben soll - dann auf beiden Seiten. man muss Ihre Entrüstung darüber in Beziehung setzen zu Ihrem Schweigen über den Anschlag in Bremen, wo in einem Gepäckschließfach kurz nach Absage eines Fußballspiels eine Bombe explodierte, die im Gegensatz zur Aktion gegen Drenkmann nicht gegen einen Angehörigen der herrschenden Klasse, sondern gezielt gegen das Volk gelegt war, eine Faschistenaktion nach dem Muster von CIA-Aktionen, gab es viel weniger Aufregung. Denn wie erklären Sie, daß die Bremer Bahnpolizei schon am Morgen des 7. Dezember - dem Tag, an dem die Bombe nachmittags um 16.15 Uhr hochging - in Alarmbereitschaft versetzt war, weil sie vom Landeskriminalamt Hessen eine Warnung erhalten hatte, daß man mit Anschlägen auf Bahnhöfe und Züge rechnet; daß der Katastrophenschutz Bremen-Nord schon um 15.30 Uhr den Einsatzbefehl bekam, fünf Krankenwagen zum Hauptbahnhof zu schicken, weil dort eine Bombe explodieren würde, die Polizei aber unmittelbar nach der Explosion schon mit der Behauptung zur Hand war, sie habe erst um 15.56 Uhr eine Bombenwarnung bekommen, und die auch nur in bezug auf ein Kaufhaus in der Innenstadt? Also die Bremer Behörden nicht nur über Zeit und Ort rechtzeitig gewarnt waren, sondern auch sofort nach der Explosion eine Meldung parat hatten, die den tatsächlichen Ablauf ihrer eigenen Maßnahmen verschweigt, manipuliert und von ihm ablenkt? Wo bleibt da Ihre Entrüstung?
FRAGE: Wir werden den von Ihnen geschilderten Sachverhalt überprüfen. Im Untergrund haben Sie allein auf Gewalt gesetzt. Als die Bomben in München, Heidelberg und Hamburg hochgingen, hat die RAF es für einen politischen Akt gehalten, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Haben Sie inzwischen Gewalt gegen Sachen und Menschen als untaugliches Konzept erkannt - das nicht solidarisiert, sondern abstößt - oder wollen Sie damit fortfahren?
ANTWORT: Die Frage ist: wen abstößt? In Hanoi hingen Photos von uns an den Straßenzäunen, weil der Anschlag in Heidelberg, für den die RAF die Verantwortung übernommen hat, den Computer zerstört hat, von dem aus US-Bombeneinsätze gegen Nordvietnam berechnet und dirigiert worden sind. Abgestoßen fühlten sich amerikanische Offiziere und Soldaten und Politiker, weil sie sich in Frankfurt und Heidelberg plötzlich an Vietnam erinnert sich nicht mehr sicher fühlten, in der Etappe. Revolutionäre Politik muß heute gleichzeitig politisch und militärisch sein. Das ergibt sich aus der Struktur des Imperialismus: daß er seinen Machtbereich nach innen und außen, in den Metropolen und in der Dritten Welt primär militärisch, durch Militärbündnisse, militärische Intervention, Counterguerillaprogramme und "innere Sicherheit" - Ausbau seines Machtapparates nach innen - sichern muß. Angesichts des Gewaltpotentials des Imperialismus gibt es revolutionäre Politik nicht ohne Lösung der Gewaltfrage in jeder Phase revolutionärer Organisierung.
FRAGE: Wie ist es mit Ihrem Selbstverständnis? Zählen Sie sich zu den Anarchisten oder zu den Marxisten?
ANTWORT: Marxisten. Aber der Anarchismusbegriff des Staatsschutzes ist ohnehin nichts als eine antikommunistische Feindmarkierung, an nichts festgemacht als dem Gebrauch von Sprengstoff, und zielt als eine Sprachregelung der Counterinsurgency der Regierung darauf, die aufgrund der Unsicherheit der Lebensverhältnisse des Volkes im Kapitalismus immer vorhandenen latenten Ängste vor Arbeitslosigkeit, Krise und Krieg zu manipulieren, um die Maßnahmen der "inneren Sicherheit", dem Volk die Militärmaschine des Staates: Polizei, Geheimdienste, Bundeswehr als Schutz- und Ordnungsmaßnahmen und -macht zu verkaufen. Er zielt auf die reaktionäre, faschistische Mobilisierung des Volkes; darauf - Identifikation mit dem Gewaltapparat des Staates manipulativ zu erzeugen. Er ist auch der Versuch, den alten Streit zwischen revolutionärem Marxismus und revolutionärem Anarchismus praktisch für den imperialistischen Staat zu usurpieren, die opportunistische Verflachung des Marxismus heute gegen uns auszuspielen: daß Marxisten nicht den Staat angreifen, sondern das Kapital, nicht die Straße, sondern nur die Fabrik das Zentrum von Klassenkämpfen sein könnte und so weiter. Diesem falschen Marxismus-Verständnis nach war Lenin Anarchist und seine Schrift "Staat und Revolution" eine anarchistische Schrift. Sie ist aber die strategische Schrift des revolutionären Marxismus. Die Erfahrung aller Guerillabewegungen ist einfach, daß das Instrumentarium des Marxismus-Leninismus, daß das, was Lenin, Mao, Giap, Fanon, Che von der Marxschen Theorie aufgenommen und vermittelt haben, für sie brauchbar, eine Waffe im anti-imperialistischen Kampf ist.
FRAGE: Der von der RAF geplante "Volkskrieg" ist im Bewußtsein des Volkes - so scheint es - ein Krieg gegen das Volk geworden. Böll sprach einmal von den 6 gegen 60 Millionen.
ANTWORT: Das ist imperialistisches Wunschdenken. So hat die "Bild"-Zeitung 1972 den Begriff Volkskrieg in "Krieg gegen das Volk" umgedreht. Wenn Sie die "Bild"-Zeitung für die Stimme des Volkes halten... wir teilen Bölls Massenverachtung nicht, denn die Nato, die multinationalen Konzerne, der Staatsschutz, die 127 US-Militärbasen in der Bundesrepublik, Dow-Chemical, IBM, General Motors, die Justiz, die Polizei, der BGS sind nicht das Volk - und daß die Politik der Ölkonzerne, des CIA, des BND , des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamts Politik für das Volk wäre, der imperialistische Staat das Gemeinwohl verkörpere - eben das dem Bewußtsein des Volkes einzuhämmern, ist Sache der "Bild"-Zeitung, des SPIEGEL, der Psychokriegführung des Staatsschutzes gegen das Volk, gegen uns.
FRAGE: Vox populi, vox RAF? Merken Sie denn nicht, daß keiner mehr für Sie auf die Straße geht? In den Gerichtssälen, wenn RAF-Prozesse anstehen, sich nur noch verlorene Haufen sammeln; daß, seit Sie mit Bomben um sich geworfen haben, auch kaum einer mehr ein Bett für Sie bereithält? Das alles erklärt doch die Fahndungserfolge gegen die RAF seit 1972 zu einem Gutteil. Sie und nicht Böll verachten die Massen.
ANTWORT: Schön, daß Sie Hackers Plattheiten nachschieben - aber die Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß eine taktisch noch schwache, zersplitterte legale Linke die reaktionäre Mobilisierung - gegen die Stärke der Repression im nationalen Rahmen - nicht in eine revolutionäre verwandeln kann . Sich diese Frage nicht stellt. Wir sagen: Gennau in diesem Widerspruch kann proletarische Politik nur als bewaffnete Politik die Politik des Proletariats werden - in Vermittlungen, die als Probleme der Revolution, der Strategie, der Klassenanalyse dem Verständnis Ihrer platten Polemik sicher entzogen sind. Die RAF ist nicht das Volk, sondern eine kleine Gruppe, die den Kampf aufgenommen hat - als Teil des Volkes, das für sich als geschichtliche Kraft nur im Kampf gegen den Imperialismus, im lang andauernden Prozeß der Befreiungskriege entstehen kann. Die RAF, ihre Politik, ihre Linie, ihre Aktionen sind proletarisch, sind ein Anfang proletarischer Gegengewalt. Der Kampf hat angefangen. Sie reden davon, daß einige von uns gefangen sind - das ist eine Niederlage. Sie reden nicht vom politischen Preis dieser Jagd nach einer nur kleinen Einheit der RAF für den imperialistischen Staat. Weil ein Ziel revolutionärer Aktion - ihrer Taktik in dieser Phase der Entwicklung ist, den Staat zum offenen Auftreten zu zwingen, zu einer Reaktion, in der die Struktur der Repression, des Repressionsapparats sichtbar wird, fassbar und sich so als Kampfbedingung revolutionärer Initiative vermittelt. Marx sagt, "der revolutionäre Fortschritt bricht sich Bahn in der Erzeugung einer mächtigen, geschlossenen Konterrevolution, in der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung die Umsturzpartei erst zu einer wirklich revolutionären Partei heranreift". Das Erstaunliche ist nicht, daß wir eine Niederlage hatten, sondern daß es sie seit 5 Jahren gibt: die RAF - und die Tatsachen, von denen die Regierung ausgeht, sind andere. 1972 erklärten nach Meinungsumfragen fast 20 Prozent der Erwachsenen, sie würden strafrechtliche Verfolgung in Kauf nehmen, um einen von uns für eine Nacht bei sich zu verstecken. 1973 ergab eine Schülerumfrage, daß 15 Prozent der Schüler sich mit den Aktionen der RAF identifizieren. Sicher ist die Relevanz revolutionärer Politik nicht durch demoskopische Umfragen auszumachen, weil Bewußtseins-, Erkenntnis- und Politisierungsprozesse nicht zu quantifizieren sind. Aber das meint die Entwicklung der Theorie vom bewaffneten Aufstand zum lang anhaltenden Volkskrieg - dass im Kampf gegen die imperialistische Machtstruktur das Volk langfristig seine Sache finden wird, sich aus dem Griff der Gehirnwäsche durch die Medien lösen wird - weil unser Kampf Realpolitik, Kampf gegen die tatsächlichen Feinde des Volkes ist, während die Konterrevolution darauf angewiesen ist, die Tatsachen auf den Kopf zu stellen. Aber es gibt das Problem des Metropolenchauvinismus im Bewußtsein des Volkes, der mit dem Begriff Arbeiteraristokratie als ökonomischer Kategorie nur schlecht benannt ist. Es gibt das Problem, daß nationale Identität in den Metropolen nur reaktionär möglich ist, als Identifikation mit dem Imperialismus. Das heißt, daß revolutionäres Bewußtsein im Volk von Anfang an nur im Rahmen von proletarischem Internationalismus möglich ist, in der Identifikation mit den antiimperialistischen Befreiungskämpfen der Völker der Dritten Welt, sich nicht aus den Klassenkämpfen nur hier entwickeln kann. Eben diese Verbindung zu sein, proletarischen Internationalismus als Bedingung von revolutionärer Politik hier zu verwirklichen, so die Verbindung zwischen den Klassenkämpfen hier und den Befreiungskämpfen der Völker der Dritten Welt zu sein, ist Sache der Metropolengierilla.