Spanien zwischen Diktatur und Republik

Review: Brinkmann on Nowak (in German)

Nowak, Karin: Spanien zwischen Diktatur und Republik. Korporatismus, organisierte Interessen und staatliche Sozialpolitik 1919-1936 (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen 29). Essen:Klartext Verlag 2004. ISBN 3-89861-240-6; 344 S.; EUR 39,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Sören Brinkmann, Lehrstuhl Auslandswissenschaft Romanischsprachige Kulturen, Universität Erlangen-Nürnberg
E-Mail: [mailto]Soeren.Brinkmann@wiso.uni-erlangen.de[/mailto]

In der ohnehin von scharfen sozialen Konflikten geprägten ersten Hälfte des europäischen 20. Jahrhunderts stellt der Spanische Bürgerkrieg einen besonders drastischen Fall dar. In einer drei Jahre währenden, mit großer Brutalität geführten Auseinandersetzung entluden sich hier offenkundig über Jahrzehnte angestaute sozialökonomische Gegensätze. Was in Italien oder Deutschland in Momenten äußerster sozialer Spannungen durch die Machtergreifung totalitärer Herrscher aufgefangen wurde, explodierte in Spanien – durch einen Militärputsch ausgelöst – in einem Gewaltexzess ungeahnten Ausmaßes. Dabei erscheint die traditionelle Rückständigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft, die etwa auf dem Land ein gewaltiges Heer von Tagelöhnern hinterlassen hatte, als eine wichtige Voraussetzung für den spanischen Sonderweg in den Bürgerkrieg. Denn mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten nahm in Industrie und Landwirtschaft ein sozialrevolutionärer Umsturz seinen Lauf, der die strukturellen Hintergründe des Geschehens eindringlich vor Augen führte.

Die Arbeit von Karin Nowak endet dort, wo all dies, wo die Geschichte des Spanischen Bürgerkrieges, begann. Und doch verweist sie mit ihrer Studie auf einen seiner Kernaspekte, denn Nowak untersucht über einen Zeitraum von rund 17 Jahren die Entwicklung der für die sozialen Spannungen der Zeit so bedeutsamen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital. Und folgt man ihren zentralen Schlussfolgerungen, so stellt sich vieles gänzlich anders dar, als es der Blick aus der Katastrophe des Bürgerkrieges suggeriert. Denn tatsächlich hatten sich in Spanien lange vor Kriegsbeginn funktionstüchtige Strukturen des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entwickelt, die durchaus als modern etikettiert werden dürfen. Oftmals federführend beteiligt war daran der Staat, der nicht nur durch die sukzessive Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen, sondern auch durch sozialpolitische Initiativen immer mehr zu einem Vermittler der sozialen Interessengegensätze avancierte. All dies untersucht Nowak mit großer Klarheit und Akribie. Dabei gelingt es ihr, die Analyse der sozialpolitischen Konzepte der Zeit mit der Untersuchung von Sozialgesetzgebung und korporativer Praxis in einer gemeinsamen Perspektive zu verbinden. Als analytisches Konzept und Bewertungsmaßstab dient ihr das Modell des societal corporatism, das Philippe Schmitter einst als System der Interessenrepräsentation autonomer Akteure im entwickelten Kapitalismus dem autoritären Staatskorporatismus entgegengestellt hat.[1]

Die Gliederung der Arbeit folgt den Brüchen der politischen Chronologie. Dabei hat die Autorin den Zeitrahmen so gewählt, dass drei sehr unterschiedliche Perioden in den Blick rücken, namentlich: die Spätphase der Restauration (von 1919 bis 1923), die Diktatur von General Primo de Rivera (von 1923 bis 1931) sowie schließlich die republikanische Phase bis zum Kriegsausbruch (von 1931 bis 1936). Das Hauptinteresse liegt dabei in allen drei Teilen auf der Frage nach Herausbildung und Funktionsweise korporativer Strukturen, die im europäischen Vergleich für den Betrachtungszeitraum zur eigentlichen Charakteristik des spanischen Falles werden. Ansätze hierzu finden sich bereits in der Spätphase der Restauration mit jenen zuerst in der Industriemetropole Barcelona zur Regelung von Arbeitskonflikten eingerichteten Comisiones Mixtas de Trabajo. Allerdings konstatiert die Autorin für die späte Restauration einen geradezu notgedrungenen Korporatismus, mit dem der Staat recht erfolglos versuchte, jenseits polizeilicher Repression das in der Weltkriegszeit angeschwollene soziale Konfliktpotential zu entschärfen.

Ganz anders dagegen die Zeit General Primo de Riveras, der offenkundig aus den Fehlern der Restauration gelernt hatte und ganz bewusst um die Integration zumindest eines Teils der organisierten Arbeiterbewegung bemüht war. Das Instrument dazu waren die als berufsständische Vermittlungsorgane geschaffenen Comités Paritarios, die in der Praxis zu Verhandlungsforen ganzer Branchen avancierten. Den deutlichsten Schritt in Richtung des societal corporatism findet Nowak indes in der Zweiten Republik, die den Korporatismus unter sozialistischem Einfluss in ein „Vehikel der wirtschaftlichen Demokratisierung“ (S. 309) zu verwandeln versuchte. Unter dem neuen Namen der Jurados Mixtos wurden korporative Organe nun auf alle Landesteile und Gewerbebereiche, insbesondere auch die Landwirtschaft, ausgedehnt. Und zumindest bis zum Oktoberaufstand von 1934 bescheinigt die Autorin diesem Instrument des Interessenausgleichs eine durchaus positive Rolle. Und dennoch blieb das System aufgrund vielfältiger organisatorischer Mängel auf Seiten der Interessenverbände häufig auf den Pragmatismus konkreter Akteure angewiesen.

Nach Maßgabe des societal corporatism diagnostiziert Nowak für den gesamten Untersuchungszeitraum in Ideologie und Praxis diffuse Mischformen korporatistischer Konzepte. Im Korporatismus kreuzten sich ständestaatlich-faschistoide und sozialistisch-progressive Vorstellungen mit den pragmatischen Regulierungsabsichten des Staates, ohne jedoch letztlich zu einem gemeinsamen Konzept zu gelangen. Überwog während der Diktatur ein paternalistisches Modell der Harmonisierung von Klassengegensätzen, so stand die Republik zumindest in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens klar auf Seiten der Arbeiterschaft. An den korporativen Experimenten entlang zieht sich zugleich aber auch die Bruchlinie der fundamentalen Interessengegensätze, denn mit jedem Zugeständnis gegenüber der Arbeiterschaft provozierte der Staat als Vermittler die Distanzierung der Unternehmer, und dies bereits lange vor der republikanischen Phase. Darüber hinaus litt der Erfolg der korporativen Organe an der Spaltung der spanischen Arbeiterbewegung. So war es die sozialistische Gewerkschaft, die schon unter der Diktatur Primo de Riveras die korporative Interessenvertretung der Arbeiter monopolisieren konnte. Und während der Republik sollte angesichts sozialistischer Regierungsbeteiligung ihre Position noch weiter gestärkt werden. Dagegen blieb das quantitativ mindestens ebenso bedeutende Lager der Anarchosyndikalisten im sozialpolitischen Abseits, weshalb die Wirksamkeit von Comités und Jurados immer auch von dem regionalen bzw. lokalen Kräfteverhältnis der Gewerkschaften abhing. Mit Blick auf den Juli 1936 ist schließlich aber zu betonen, dass sich die Tätigkeit der korporativen Organe in der Regel nur auf lohnpolitische und arbeitsrechtliche Streitfragen bezog, während die grundsätzlichen Interessengegensätze der Zeit ungeschmälert fortbestanden, und jenseits aller sozialpolitischen Einhegungsversuche sich die Spirale der gesellschaftlichen Konfrontation in Richtung gewaltsamer Konfliktlösung weiterdrehte.

Anmerkung:
[1] Vgl. Schmitter, Philippe, Still the century of Corporatism?, in: Review of Politics 36 (1974), S. 85-131.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jochen Meissner [mailto]meissner@uni-leipzig.de[/mailto]

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