Lengwiler, Martin: Risikopolitik im Sozialstaat. Die schweizerische Unfallversicherung (1870-1970) (= Industrielle Welt 69). Köln: Böhlau Verlag 2006. ISBN 3-412-08606-1; 445 S.; EUR 49,90.
Das Versicherungsgeschäft ist eine trockene Angelegenheit. Hinter den Zahlenreihen und Berechnungsformeln steckt allerdings eine große Brisanz. Zum einen haben die modernen Sozialversicherungen den gesellschaftlichen Wandel wesentlich mitgeprägt. Und zum anderen haben die Unfallversicherung, die Altersvorsorge, die Arbeitslosen-, dieKranken- und die Pflegeversicherung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert einen eigenständigen Diskurs hervorgebracht, der seine Wurzeln in den Naturwissenschaften suchte, und damit seine soziale Genese erfolgreich verhüllte. Man muss der Sachlichkeit der Materie mit Wissen über Wissen, mithin also mit Theorie, auf den Grund gehen, um ihre soziale und politische Dimension zu klären. Gerade die Trockenheit macht den Reiz des Themas aus.
Martin Lengwilers Darstellung der Geschichte der Schweizerischen Unfallversicherung weiß um diesen Theoriebedarf und bringt viele relevante Einsichten hervor. Eine Fülle von Bezugspunkten wird in Aussicht gestellt. Sie reicht von Gøsta Esping-Andersens Kategorisierung des Sozialstaats über Theda Skocpols Rekonzeptualisierung von Staatlichkeit zu Michel Foucaults Gouvernementalitätsbegriff und weiter zur Risikosoziologie von Ulrich Beck. Die wissenssoziologischen Entwürfe von Helga Nowotny, Nico Stehr und Bruno Latour werden ebenso in Anschlag gebracht wie die Arbeiten zur Geschichte der wissenschaftlichen Quantifizierung von Theodore Porter oder Lorraine Daston.
[...]
[url]http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-006[/url]
_______________________________________________
Hockerts, Hans Günter (Hrsg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Bd. 5: Bundesrepublik 1966-1974. Eine Zeit vielfältigen Aufbruchs. Baden-Baden: Nomos Verlag 2006. ISBN 3-7890-7321-0; XIV, 1133 S. + 1 CD-ROM; EUR 169,00.
In der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesarchiv gemeinsam herausgegebenen elfbändigen "Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945"[1] liegt nun auch der dritte von sechs Bundesrepublik-Bänden vor. Bis die Bände 4 und 6 erschienen sind (zu den Jahren 1957-1966 bzw. 1974-1982), hängt der hier besprochene Band 5 allerdings noch etwas in der Luft. Da nun insgesamt sieben von elf angekündigten Bänden gedruckt sind, gerät das glückliche Ende des großen Projekts langsam in Sicht.
Der vorliegende Band umfasst die Jahre 1966 bis 1974; er enthält somit die wichtigen Aufbruchsjahre der Großen Koalition und die zwei Kabinette Brandt/Scheel. Bandherausgeber ist der Münchener Historiker Hans Günter Hockerts, der jedoch ganz maßgeblich von Winfried Süß unterstützt wurde.Hockerts - ursprünglich eher Experte für den Nationalsozialismus und die Adenauerzeit - verfasste das einleitende Kapitel "Rahmenbedingungen", Süß das zweite Einleitungskapitel "Sozialpolitische Denk- und Handlungsfelder", während die abschließende "Gesamtbetrachtung" dann von beiden zusammen geschrieben wurde. Für die 17 sachthematischen Unterkapitel zeichnen insgesamt 23 Autorinnen und Autoren verantwortlich.
[...]
[url]http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-025[/url]
______________________________________________