Schilde, Kurt (Hrsg.): Jugendopposition 1933-1945. Ausgewählte Beiträge. Berlin: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte 2007. ISBN 978-3-86732-009-2; 185 S.; EUR 16,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Ann-Katrin Ostermann, Siegen
E-Mail: [mailto]annkatrinostermann@gmx.de[/mailto]
"Den Widerstand von Jugendlichen beispielhaft bekannt zu machen, ist immer noch eine lohnende Aufgabe für die Zukunft" (S. 28).Wissenschaftliche Abhandlungen über den jugendspezifischen Widerstand der Jahre 1933 bis 1945 sind rar. Kurt Schildes "Jugendoppositionen" versucht, dieses Desiderat zu schließen: Insgesamt zehn bereits zwischen1983 und 2006 publizierte Abhandlungen verschaffen einen Einblick in eine Bewegung, die "alle Formen nonkonformen Verhaltens, der Verweigerung und des Protestes bis hin zum Widerstand" aufweist (S. 11).Dieser definitorischen Breite entspricht die konzeptionelle Pluralität der zu besprechenden Schriftensammlung. Denn neben überblicksartigen Darstellungen über den politischen Jugendwiderstand Deutschlands, die Opposition als auch den Protest jüdischer Jugendlicher auf der Makroebene, werden mikroanalytisch (biografische) Skizzen entworfen, wie etwa über Marianne Cohn, die sich als Fluchthelferin für jüdische Kinder aus Frankreich einsetzte. Die Sozialarbeiterin wurde zum Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft, als sie am 31. Mai 1944 versuchte, einen jüdischen Transport von 32 Kindern aus Lyon in der Schweiz zu sichern. Ausführlich beschreibt der Autor das Szenario an der französisch-schweizerischen Grenze, in dessen Folge Marianne Cohn ermordet wurde. Fotografische Portraits der Protagonistin lassen dabei, wie übrigens im gesamten Band, Geschichte lebendig werden und unterstreichen merklich die dokumentarische Nuance.
Einen biografischen Zugriff verfolgt auch ein Beitrag über Eva-Maria Buch, die mit zweiundzwanzig Jahren zu den jüngsten der hingerichteten Angehörigen der ‚Roten Kapelle' gehörte. Trotz der wenigen historischer Spuren, die sie hinterließ, findet sich eine eindringliche Beschreibung ihres Weges in den Widerstand über ihre Verhaftung und den Prozess vor dem Reichskriegsrat bis hin zur Ermordung. Der Aufsatz schließt mit einem Auszug aus dem Abschiedsbrief der Hingerichteten an ihre Eltern, der getragen wird von Emotionen, die eher trostvoll und erleichtert erscheinen als niedergeschlagen - nicht wie verstummte Worte einer Kämpferin.
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[url]http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-053[/url]
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Roth, Roland; Rucht, Dieter (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2007. ISBN 978-3-593-38372-9; 770 S.; EUR 49,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Dorothee Liehr, Historisches Seminar, Universität Zürich
E-Mail: [mailto]dliehr@fsw.uzh.ch[/mailto]
Trotz einer mannigfachen Politikverdrossenheit, die sich in den letzten Jahren in der Bundesrepublik bezüglich konventioneller Formen der politischen Partizipation offenbart habe, konstatieren Roland Roth und Dieter Rucht als Herausgeber des Handbuchs über soziale Bewegungen in Deutschland seit 1945 eine Zunahme an neuen Formen des Engagements.
Diese zeichneten sich vor allem durch kollektiven Protest gegen institutionalisierte Strukturen und Praktiken aus, der für die Konstituierung "sozialer Bewegungen" zentral sei. Doch würden einzelne Protestereignisse, so die Definition, erst dann in eine Bewegung überführt, wenn "ein Netzwerk von Gruppen und Organisationen, gestützt auf eine kollektive Identität, eine gewisse Kontinuität des Protestgeschehens sichert, das mit dem Anspruch auf Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels verknüpft ist" (S. 13). War der Terminus "soziale Bewegung" nach dem Zweiten Weltkrieg vornehmlich "von demokratisch-menschenrechtlich orientierten progressiven Mobilisierungen reklamiert" worden (S. 10f.), gelte es mittlerweile auch, zahlreiche rechtsextreme Manifestationen und Kundgebungen unter den Begriff zu fassen. Die von den Herausgebern festgestellte Aktualität "bewegte[r] Politik" habe sie zu dem Handbuch motiviert, das "gerade auch für die Auseinandersetzung mit aktuellen Protesten Orientierungen anbieten" solle (S. 10).
Angelegt als Nachschlagewerk nicht nur für Studierende diverser Gesellschaftswissenschaften, sondern auch für eine größere politisch interessierte Leserschaft, versammelt das Handbuch in seinem Hauptteil21 Texte zu unterschiedlichsten Themenfeldern aus dem Bereich derBewegungs- und Protestforschung, die sowohl das "doppelte Nachkriegsdeutschland" als auch die Zeit nach der Vereinigung in den Blick nehmen. 62 Jahre nach Kriegsende und 18 Jahre nach dem Mauerfall geht es den Herausgebern darum, das historische Vermächtnis verschiedener sozialer Bewegungen und Kampagnen, "deren Brüche, Kontinuitätslinien und Neuanfänge" aufzuzeigen, indem nicht nur ihre jeweiligen historischen Entwicklungen entfaltet, sondern auch ihre Vorgeschichten umrissen werden (S. 11).
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[url]http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-119[/url]
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Ziemann, Benjamin (Hrsg.): Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA during the Cold War (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 8). Essen: Klartext Verlag 2007. ISBN 978-3-89861-763-5; 286 S., 22 SW-Abb.; EUR 29,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Friederike Brühöfener, History Department, University of North Carolina at Chapel Hill
E-Mail: [mailto]fbruehoe@email.unc.edu[/mailto]
Protestbewegungen seit 1945, darunter auch die Friedensbewegungen und ihre Bedeutung, sind bereits mehrfach Gegenstand intensiver Debatten zwischen Historikern, Sozial- und Politikwissenschaftlern gewesen. Denn die Protestbewegungen waren und sind konstituierend für das soziale und politische Selbstverständnis mehrerer Generationen. Nicht zuletzt die Frage nach den Auswirkungen der Friedensbewegungen auf die Entscheidungen führender Politiker im Rahmen des Kalten Kriegs hat wiederholt wissenschaftliches Interesse geweckt.[1]
Der von Benjamin Ziemann herausgegebene Sammelband, der auf eine Konferenz des Arbeitskreises Historische Friedensforschung im Oktober 2005 zurückgeht[2], bietet in mehrfacher Hinsicht neue Anregungen für die Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungen beziehungsweise Friedensbewegungen zur Zeit des Kalten Kriegs. Die Beiträge zeigen, was die vergleichende historische Analyse von Protestbewegungen gewinnen kann, wenn kulturgeschichtliche Fragestellungen, neue soziologische Ansätze zur Erforschung der Protestkultur oder eine transnationale Perspektive gewählt werden. Das zentrale Ziel des Bandes ist es, das Studium innenpolitischer Prozesse und des internationalen Gefüges zwischen 1945 und 1990 durch die systematische Einbeziehung der Friedensbewegungen als wichtiger Akteure dieser Geschichte zu erweitern.
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[url]http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-152[/url]