Die Philanthropie - Partnerin oder Konkurrentin des Wohlfahrtsstaates? Zum ambivalenten Verhältnis von privaten und staatlichen Produzenten sozialer Sicherheit

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CfA: Die Philanthropie - Partnerin oder Konkurrentin des Wohlfahrtsstaates? Zum ambivalenten Verhältnis von privaten und staatlichen Produzenten sozialer Sicherheit - Bern/Innsbruck 10/2013

Themenheft der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ÖZG); hrsg. von Prof. Dr. Brigitte Studer, Dr. Sonja Matter, lic. phil., Matthias Ruoss (alle Universität Bern, Schweiz), Bern/Innsbruck 06.10.2013-, Themenheft der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ÖZG); hrsg. von Prof. Dr. Brigitte Studer, Dr.
Sonja Matter, lic. phil. Matthias Ruoss (alle Universität Bern,
Schweiz)

Seit einigen Jahren wird in verschiedenen westeuropäischen Ländern eine stark normativ aufgeladene politische Debatte um den Zusammenhang zwischen philanthropisch engagierten Zivilgesellschaften und Wohlfahrtsstaaten geführt, die einer binären Logik gehorcht. Philanthropische Vereinigungen und Initiativen erscheinen auf der einen Seite als Resultat engagierter Bürger und Bürgerinnen, die sich freiwillig der Bekämpfung sozialer Vulnerabilität verschreiben, staatliche Institutionen stehen auf der anderen Seite für demokratisch legitimierte öffentliche Instanzen, die kollektiv soziale Sicherung garantieren. Prominentestes Beispiel ist dabei wohl die gesellschaftspolitische Vision des britischen Premierministers David Cameron, dem eine Big Society als Antithese zum Big Government vorschwebt. Doch sind die beiden wohlfahrtsproduzierenden Systeme wirklich konkurrierende Alternativen, wie dies die aktuelle Debatte suggeriert? Oder sind sie funktional von einander abhängig und historisch mit ordnungspolitischer Rücksicht aufeinander entstanden?

Das Themenheft ist von dieser Debatte inspiriert und will das vielseitige, teils ambivalente, teils produktive Neben-, Mit- und Gegeneinander von privaten und staatlichen Akteuren auf verschiedenen nationalen und transnationalen Feldern der sozialen Wohlfahrt seit dem 19. Jahrhundert untersuchen. Damit will das Themenheft einen Beitrag zur Geschichte der sozialen Sicherheit leisten und zwei Forschungsfelder zusammenführen, die bis anhing vielfach separat untersucht wurden. So liegen derzeit einerseits vielfältige Forschungsergebnisse zur Formation der westlichen Wohlfahrtsstaaten vor, so insbesondere zur Genese und Entwicklung der Sozialversicherungsmodelle und staatlichen Sozialhilfe.

Andererseits sind gerade in jüngster Zeit verschiedene Studien zur Geschichte der Philanthropie erschienen, die Motivation der philanthropische Akteure, konkrete Praktiken und Formen der Wissensproduktion untersuchen. Erst punktuell hingegen wurde nach der Interaktion beziehungsweise nach Abgrenzungsstrategien von privaten und staatlichen Akteuren gefragt. Erste Ansatzpunkte sind im Konzept einer "mixed economy of welfare" entwickelt worden, in dem unter anderem die beiden britischen Historiker Bernard Harris und Paul Bridgen die verschiedenen wohlfahrtsproduzierenden Akteure und ihr Zusammenwirken in den Blick nehmen. Das Themenheft setzt bei dieser Auseinandersetzung an, will die Debatte aber auch weiterführen, indem verschiedene zentrale Problemkomplexe angesprochen werden. So stellt sich erstens die Frage, welche "sozialen Probleme" überhaupt in den Fokus philanthropischer und staatlicher Akteure und Institutionen gerieten und wie ein konkurrierendes beziehungsweise partnerschaftliches Verhältnis zwischen diesen beiden Akteuren die "Politik der Bedürfnisinterpretation"
beeinflusste. Inwiefern sind also gemeinnützige Praktiken der philanthropischen Vereinigungen, Hilfswerke und Organisationen in kritischer Abgrenzung zur öffentlichen Fürsorge und den staatlichen Hilfen entstanden und in welchen Bereichen entfalteten sie eine sozialreformerische Wirkung? Zweitens ist zu fragen, inwieweit der Wohlfahrtsstaat auch Initiativen folgte, die von der Philanthropie ausgingen und inwiefern er damit spezifische Integrations- und Exklusionsmechanismen gegenüber verschiedenen Gruppen von Bedürftigen rezipierte. Ebenso stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, mit welchen Wissenstechniken und Legitimationsstrategien sich staatliche Akteure die Aufgaben der Philanthropie aneigneten. Drittens schliesslich gilt es den Blick auf die Bedürftigen zu richten und zu untersuchen, wie sie die unterschiedlichen Angebote der Philanthropie und des Wohlfahrtsstaates nützten.

Die Beiträge sollen sich idealerweise an diesen Fragestellungen orientieren. Bitte senden Sie einen kurzen Abstract (ca. 3000 Zeichen) bis am 6. Oktober 2013 an Matthias Ruoss: matthias.ruoss [at] hist.unibe.ch

Die anschliessenden Artikel haben einen Umfang von ca. 60.000 bis 70.000 Zeichen und sind bis zum 1. April 2014 einzureichen.

[Cross-posted, with thanks, from H-Soz-u-Kult]