Der Geschichte der Arbeitswelt wird im Rahmen der Wertewandel- und Strukturbruchdebatten über die 1970er-Jahre seit geraumer Zeit große Aufmerksamkeit zuteil. Insbesondere das Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ der 1970er und 1980er Jahre steht immer wieder im Mittelpunkt von Kontroversen. Daran anschließend rückt die Tagung erstmals in einem breiteren Rahmen Fragen einer Geschichte der „Humanisierung“ in den Fokus: Unter welchen wissenschaftlichen und sozioökonomischen Prämissen dachten Akteure und Akteurinnen der Arbeitswelt über eine „menschlichere“ und „gerechtere“ Gestaltung von Arbeit nach, welche Initiativen unternahmen sie, mit welchen Interessen war dies jeweils verbunden und – nicht zuletzt – wie ordneten sich diese jeweiligen Arbeitspolitiken in die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein?
Das Programm bewegte sich in einem internationalen Kontext, in dem unter verschiedenen Begrifflichkeiten, wie „industrial democracy“ (Skandinavien), „Quality of Working Life“ (im angelsächsischen Raum) oder der „amélioration des conditions de travail“ (Frankreich) über Reformen in der Arbeitswelt diskutiert wurde. In der Bundesrepublik erlangte der Humanisierungsbegriff während der 1960er-Jahre in gewerkschaftlichen („Qualität des Lebens“) und arbeitswissenschaftlichen Kreisen neue Popularität. Im folgenden Jahrzehnt wurde er zu einem umkämpften Begriff, eingebettet in gesellschaftspolitische, soziale und ökonomische Konflikte. Infolgedessen erhielt er unterschiedliche Bedeutungen. Das Programm und der Begriff wirken bis in die Gegenwart in Form von positiver Tradierung seitens gewerkschaftlicher Kampagnen oder in Form staatlicher Technologieförderung. „Humanisierung der Arbeit" (aber auch die Bemühungen um die Demokratisierung betrieblicher Führung und vieles mehr) bewegte sich dabei immer im Spannungsfeld, einerseits konkrete Reaktion auf die ökonomischen Krisen fordistischer Massenproduktion, andererseits Teil übergeordneter und gesamtgesellschaftlicher Reformdebatten zu sein.
Ziel der Tagung ist es, ausgehend von der Entwicklung, Durchführung und Wirkung sowohl des konkreten Humanisierungsprogramms als auch der allgemeinen Debatte um die „Humanisierung“ Forschungsprojekte interdisziplinär zusammenzutragen. Die Projekte der 1970er- und 1980er-Jahre dienen uns als Ausgangspunkt für eine umfassendere Vermessung des 20. Jahrhunderts in Bezug auf Fragen von „humaner“ Arbeit, „menschlicherer“ Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. Der Begriff der „Humanisierung“ dient dabei als inhaltliche Klammer der einzelnen Beiträge, bedarf aber noch einer klaren Definition und Eingrenzung. Es handelt sich zunächst um einen Quellenbegriff, dessen semantische Grenzen ebenso ausgelotet werden müssen wie seine Tauglichkeit als analytische Kategorie noch einer Prüfung harrt.
Eine besondere Herausforderung stellt die Heterogenität der wissenschaftlichen Felder und beteiligten Akteure in den Debatten und Initiativen um die „Humanisierung von Arbeit“ dar: Hierzu zählen u.a. die zeitgenössisch sehr präsenten Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften oder auch der Umweltschutz. Zugleich wissen wir um die zeitliche und geographische Bandbreite dieses Humanisierungsdiskurses. Insofern sind verschiedene Wissenschafts- bzw. interdisziplinäre Zugänge ebenso erwünscht wie Beiträge, die aus transnationaler Perspektive vergleichend Projekte, Programme und Debatten um „Humanisierung der Arbeit“ diskutieren oder Überlegungen über „lange Linien“ bis ins 19. Jahrhundert befördern. Insgesamt sind damit sowohl theoretische Verortungen wie auch konkrete Fall- und Anwendungsbeispiele der „Humanisierung“ gleichermaßen angesprochen. Mögliche, jedoch nicht ausschließliche Forschungsfelder und -fragen können dabei sein:
Disziplinäre Fragestellungen und Periodisierungsfragen:
Mögliche Beiträge betrachten die „Humanisierung“ als Folie für eine Geschichte der eigenen Disziplin (Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften u.a.). Gleichfalls sind Beiträge von Interesse, die eine Einordnung in die Geschichtsschreibung zum 19. und 20. Jahrhundert vornehmen und dabei - beispielsweise anhand einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung – auf Fragen von Kontinuitäten und Periodisierungen eingehen.
Hierarchien und Identitäten:
Hatte die „Humanisierung der Arbeit“ ein Geschlecht und eine ethnische Identität, privilegierte es den (deutschen) männlichen Facharbeiter oder wirkte gerade ein Wandel der Beschäftigtenstruktur (Arbeitsmigration, Zunahme der Frauenerwerbsarbeit) katalytisch für die Bemühungen einer „Humanisierung der Arbeit“?
Akteure der „Humanisierung“:
Im Zentrum dieses Forschungsfeldes stehen Untersuchungen zu Akteuren der Arbeitspolitik wie Gewerkschaften, Unternehmen und Arbeitgeberverbänden, staatlichen Instanzen, aber auch zu Forschungseinrichtungen und Consultants und deren jeweiligen Humanisierungspolitiken (Programmen, Forschungen u.a.).
Betriebs-und Branchenstudien:
Ein Desiderat bleibt die Differenzierung der „Humanisierung der Arbeit“ nach Unterschieden auf betrieblicher oder sektoraler Ebene. In den Blick zu nehmen wären unternehmens- oder institutionenspezifische Arbeitspolitiken sowie die unterschiedlichen Akteursgruppen in den beteiligten Unternehmen selbst.
Technologien der „Humanisierung“:
Gefragt wird nach Beiträgen, die das Verhältnis spezieller Technologien zur „Humanisierung der Arbeit“ in den Blick nehmen und/oder die kulturellen Bedingungen (z.B. Fortschrittsglaube/Fortschrittsskepsis) auf Seiten der betrieblichen und überbetrieblichen Akteure diskutieren. Hierzu zählen der Einfluss von „Humanisierung“ auf das arbeitende Subjekt sowie Debatten um Leistung, Produktivität und Rationalisierung am konkreten Fall.
Abstracts (300-500 Wörter) für einen Vortrag von ca. 20 Minuten mit einem Kurzlebenslauf können bis zum 15.06.2017 als E-Mail an Nina Kleinöder (nina.kleinoeder@uni-duesseldorf.de) und Karsten Uhl (uhlk@hsu-hh.de) gesendet werden.
Kontakt