Die Politisierung des Buchmarkts. 1968 als Branchenereignis

Review: Kröger on Füssel (in German)

Füssel, Stephan (Hrsg.): Die Politisierung des Buchmarkts. 1968 als Branchenereignis (= Mainzer Studien zur Buchwissenschaft 15). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2007. ISBN 978-3-447-05590-1; 352 S.; EUR 68,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Claus Kröger, SFB 584 "Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte", Universität Bielefeld
E-Mail: [mailto]claus.kroeger@uni-bielefeld.de[/mailto]

"Nichts an dieser Geschichte lässt sich auf einen Nenner bringen" - so hat erst kürzlich Gerd Koenen über "1968" geurteilt.[1] Für die Historiographie zu "1968" und den "langen 1960er-Jahren" gilt dies indes nicht. Die Versuche, dem Datum "1968" einen Platz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zuzuweisen, erfolgen vielmehr zunehmend auf der Grundlage eines weitreichenden Konsenses.[2] "Entzauberung" lautet das Motto. Demnach steht "1968" keineswegs für eine zweite, nunmehr innere Demokratiegründung, nicht für den Beginn einer Fundamentalliberalisierung, sondern für einen Kulminationspunkt bereits in den späten 1950er-Jahren beginnender sozial-kultureller Wandlungen.Nicht die 68er-Revolte habe die Reformen angestoßen und eingeläutet, eher verhalte es sich umgekehrt: Die Revolte sei ohne die ihr vorangehenden Liberalisierungstendenzen und Pluralisierungsprozesse gar nicht zu verstehen.[3]

Der von dem Buchwissenschaftler Stephan Füssel herausgegebene Band, der vier Mainzer Magisterarbeiten versammelt, nimmt eine andere Perspektive ein. Er kümmert sich nicht um übergreifende Deutungen, sondern nimmt "1968" als Ereignis der Buchbranche in den Blick. Für die Geschichte der1960er- und 1970er-Jahre ist dies durchaus kein marginales Thema. Auf den Zusammenhang von Buchproduktion, Lektüreinteressen und Protesten ist immer wieder hingewiesen worden - nicht nur in der despektierlich gemeinten Grass'schen Variante, die "1968" nur als "angelesene Revolution" gelten lassen wollte.[4] Zuletzt hat sich Adelheid von Saldern dem Konnex von Literaturbetrieb und (linken) Lesebewegungen in einem Überblicksartikel gewidmet.[5] Genauer erforscht ist all dies indes noch kaum. Der Sammelband wagt sich also auf weithin unbekanntes Terrain.

Mit dem Band werde das Ziel verfolgt, in Detailstudien ausgewählte Exempla "aus den Quellen und den Kontexten heraus zu bearbeiten", wie Füssel im Vorwort schreibt (S. 7). Was die Quellenorientierung anbetrifft, so wird der Band seinem Anspruch mehr als gerecht. Vor dem Hintergrund einer oftmals schwierigen Überlieferung haben sich alle Autoren aus privaten Vor- und Nachlässen, Firmen- und Verbandsarchiven, Gesprächen mit ehemaligen Akteuren sowie der Auswertung der zeitgenössischen Tages- und Fachpresse eine beeindruckend breite und dichte Quellengrundlage erschlossen. Hier ist Pionierarbeit geleistet worden.

Die Detailstudien befassen sich mit dem Voltaire-Verlag, der Marburger Buchhandlung "Roter Stern", der Frankfurter Buchmesse sowie dem Autorenbeirat des Luchterhand-Verlags. Andreas Roth nimmt die ebenso kurze wie chaotische Geschichte des Voltaire-Verlags und der Edition Voltaire in den Blick. 1964 gegründet, richtete sich der Verlag vor allem an eine "linke" Öffentlichkeit. Bereits 1968 ging der Voltaire-Verlag in Konkurs, und auch den zwei Nachfolgeprojekten unter dem Namen "Edition Voltaire" war kein langes Leben beschieden. Selbst das Aushängeschild des Verlags, die durchaus erfolgreiche Reihe "Voltaire Flugschriften", vermochte daran nichts zu ändern - zu groß waren die organisatorischen Mängel im betrieblichen Alltag. Bereits 1972 fehlte wiederum das Geld, um neue Bücher zu veröffentlichen.

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