KOPFARBEIT – Sozial- und kulturgeschichtliche Blicke auf die „andere Seite“ der Arbeit im 19. und 20. Jahrhundert (Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte 10)
Ort: Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
Datum: 13.-14. November 2025
Deadline für die Einreichung der Abstracts: 15. Januar 2025
Organisationsteam: Knud Andresen (Hamburg), Franziska Rehlinghaus (Göttingen), Désirée Schauz (Karlsruhe)
Für die Labour History ist die körperliche Arbeit in Produktionsprozessen der Industriemoderne auch heute noch einer der zentralen Bezugspunkte für die Beschreibung des historischen Wandels der Arbeitswelt. Der „Abschied vom Malocher“ „jenseits von Kohle und Stahl“ wurde damit überwiegend als Geschichte der einschneidenden Veränderung einer alten Form der Erwerbsarbeit beschrieben. Im Gegenzug reüssierten bereits vor fünfzig Jahren Konzepte wie die „Dienstleistungs-“ oder „Wissensgesellschaft“, mit denen Expert:innen bis heute den Strukturwandel am Bedeutungsgewinn der sogenannten Kopfarbeit festzumachen versuchen. Als Gegenbegriff zur „Handarbeit“ blieb das Konzept der Kopfarbeit bislang allerdings vage. Welche Phänomene beschreibt der Begriff der Kopfarbeit eigentlich? Was kennzeichnet die durch sie erzeugten Produkte und Dienstleistungen? Und wie lassen sich Kopfarbeiter:innen sozial und politisch in der Geschichte vom 19. bis ins 21. Jahrhundert verorten?
Die Reihe „Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte“ nimmt sich dieser Fragen auf einer Tagung zum Thema Kopfarbeit vom 13. bis zum 14. November 2025 in Düsseldorf an. Die Tagung möchte ausloten, welche Potenziale die Beschäftigung mit „Kopfarbeit“ für eine Geschichte der Arbeit bietet. Die Beitragsvorschläge sollten sich auf eine oder mehrere der vier folgenden Perspektiven beziehen.
1. Auf der Tagung soll diskutiert werden, wie sich das Konzept der Kopfarbeit und Parallelbegriffe wie die Geistes- oder Wissensarbeit seit dem 19. Jahrhundert wandelten, welche Menschen und welche Tätigkeitsformen hierunter subsummiert und mit welchen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Funktionsbeschreibungen die Begriffe aufgeladen wurden. Während sich die begriffliche Unterscheidung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, scheinen sich die Grenzziehungen zwischen beiden Konzepten und ihre Definitionen im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder verschoben zu haben. In den 1920er Jahren zählten zu den Geistesarbeiter:innen noch vorrangig Wissenschaftler:innen, Intellektuelle und Künstler:innen. Mit den Debatten über den Wandel hin zur „Wissensgesellschaft“ wurde die geistige Arbeit seit den 1960er Jahren zu einer viel umfassenderen Kategorie, die nun weitere Personengruppen inkludierte und sich dabei auch demokratisierte. Für das sozialistische Staatsverständnis, das der industriellen Handarbeit eine herausgehobene Bedeutung zumaß, stellte die „Intelligenz“ und damit die Kopfarbeit allerdings eine ideologische Herausforderung dar. Fremd- und Selbstbeschreibungen wichen mitunter voneinander ab.
Aus einer genderhistorischen Perspektive ist zu fragen, inwieweit sich im Zuge des semantischen Wandels auch Geschlechterzuschreibungen veränderten. Begriffs- und diskursgeschichtliche Untersuchungen können hier ebenso Aufschluss geben wie ikonographische Ansätze, die sich mit bildlichen und medialen Repräsentationen von Arbeit auseinandersetzen. Die Kämpfe um die Grenzziehungen zwischen geistiger und körperlicher Arbeit und ihre Fluidität werden dabei besonders zu diskutieren sein.
2. In wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Perspektive ist von Interesse, welche Berufe, Tätigkeitsfelder und Wirtschaftssektoren der Kopfarbeit im historischen Wandel analytisch zugeordnet werden können. Welche Bereiche lassen sich neben Forschung und Entwicklung, Medien- und Kreativwirtschaft als typisch für „Kopfarbeit“ ausmachen? Wie verhält sich die Kopfarbeit zur etablierten Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeiter:innen? Gibt es Tätigkeitsfelder, die sich beispielsweise durch die Computerisierung von der Hand- zur Kopfarbeit gewandelt haben? Wo entstanden gänzlich neue Berufe? Welche Anforderungen wurden an Kopfarbeiter:innen in Bezug auf ihre Ausbildung, Kompetenzen und Qualifikationen gestellt, und welche Normen wurden hierfür entwickelt? Lassen sich die von den Sozialwissenschaften identifizierten neuen Sozialfiguren wie der IT-Spezialist, die Beraterin oder der Coach dem Konzept der Kopfarbeit zuordnen?
3. Für den Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wurden ursprünglich vor allem die technologischen Revolutionen im Informations- und Kommunikationsbereich als treibende Kraft angesehen. Aus praxeologischer Sicht stellt sich die Frage, wie die neuen Technologien und die fortschreitende Digitalisierung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die Praktiken des Arbeitens und ihre Organisation in materieller, räumlicher und zeitlicher Dimension verändert haben. Die Digitalisierung transformierte nicht zuletzt auch die industrielle Produktion und deren Arbeitsprozesse, in deren Folge eine neue Flexibilität des Arbeitens und Denkens gefordert wurde. Hier werden Beiträge gewünscht, die sich der Frage widmen, wie sich in diesem Prozess das Verhältnis von körperlicher und geistiger Arbeit neu bestimmte.
4. Die Geschichte der Arbeit geht traditionell der Frage nach, wie Arbeit und Beruf die soziale und politische Verortung von Individuen prägten. Richtet sich der Blick auf die bislang wenig erforschte Kopfarbeit, so besteht die Herausforderung, herauszufinden, ob sich gemeinsame identitätsstiftende Elemente unter Kopfarbeiter:innen ausmachen lassen. Lassen sie sich als Gruppe oder gar als Klasse mit geteilten Interessen beschreiben? Zeichneten sich die Produkte ihrer Kopfarbeit durch gemeinsame Eigenschaften aus?
Wie manifestierten sich die Versuche der kollektiven Organisation, Einbindung und Interessenvertretung, beispielsweise in Gewerkschaften, Verbänden oder Verwertungsgesellschaften? Inwieweit versuchten Gewerkschaften auf die Interessen der Kopfarbeiter:innen einzugehen? Welche spezifischen sozialen Interessen und politischen Ziele von Kopfarbeiter:innen vertraten sie, wie versuchten sie, diesen im öffentlichen Diskurs Gehör zu verschaffen, welche Konflikte traten dabei auf, und wie erfolgreich waren sie in der Durchsetzung ihrer (sozial)politischen Forderungen? Gerade in den letzten Jahren zeigen die Debatten über die ebenso freien wie prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft (#IchbinHanna), wie „klassische“ Kopfarbeiter:innen und ihre Interessenartikulation in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Maßnahmen rücken konnten.
Die Tagung ist interdisziplinär angelegt, Beiträge aus den Sozial- und Kulturwissenschaften sowie weiteren Geisteswissenschaften sind willkommen. Auch wenn der Fokus auf der deutschen bzw. der deutsch-deutschen Geschichte liegt, sind international-vergleichende Untersuchungen von Interesse. Wir bitten alle Beiträger:innen, ihren Gegenstand theoretisch bzw. methodisch zu konzeptualisieren.
Abstracts mit maximal 400 Worten und ein kurzes akademisches CV von maximal einer halben Seite sind – in einer Datei – bis zum 15. Januar 2025 an Désirée Schauz (desiree.schauz@kit.edu) oder Knud Andresen (andresen@zeitgeschichte-hamburg.de) einzureichen.
Zu- oder Absagen werden bis März 2025 versendet.
Die Tagung wird vom Kooperationsprojekt „Jüngere und jüngste Gewerkschaftsgeschichte“ der Hans-Böckler-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet. Reisekosten und Unterkunftskosten für Vortragende werden durch die Stiftungen übernommen.
Eine Publikation zum Thema der Tagung ist angedacht.
Désirée Schauz: desiree.schauz@kit.edu
Knud Andresen: andresen@zeitgeschichte-hamburg.de
Franziska Rehlinghaus: franziska.rehlinghaus@uni-goettingen.de