Stellungnahme von Yrjö Sirola auf der Sitzung des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation aus Finnland, 23. Mai 1917

P/18c
CHA, Stockholm, N. & C., April 1917. Hschr. (Yrjö Sirola), 9 S.1

Die finnische Frage jetzt

Eine kurze promemoria dem sekretair des Int. Soc. Bureau.

   Der Grund für den (die] historischen Rechte Fin[n]lands -
welchen die Finnen niemals gelassen [verlassen] haben, und über welchen
keine verschiedene Meinungen in Fin[n]land existieren, ist dass keine
Veränderung in die staatsrechtlige [staatsrechtliche] Stellung
Fin[n]lands kann veranstaltet werden ohne die freie Einwilligung2
des finnischen Volkes
.

   Der Landtag (Representation) Fin[n]lands hat das beständig
vorgehalten.3 Die Abschaffen [Abschaffung]4 der
ungesetzlichen Bestimmungen5 und das [die] s.g. [sogenannte]
Reichsgesetzgebung durch das Märzmanifest6 hat die
Verhältnissen wieder auf diesen Grundt geführt auch von Seite der
russischen Staatsmacht.

   Von [vom] Standpunkt der Demokratie ist dies auch eine
conditio sine qua non
.

   Die Revolution hat eine Neuorientierung notwendig gemacht -
sowohl juridisch [juristisch] wie auch für die Verwirklichung der
Demokratie
.

   Folgende Möglichkeiten öffnen sich für
Fin[n]land:

   a. In eine einheitliche russische Republik hineingehen,
sodass F.[innlands] autonomie aufgehoben wird.

   b. eine autonome [ein autonomer] Staat i[n] einen federative
[eine föderative] Republik werden;

   c. eine reservierte7 Stellung in russischen Reiche
zu bekommen; oder

   d. selbständig8 werden.

   Kommentar

   a. ausgeschlossen9 und sollte von keinen dem
Fin[n]land vorgeschlagen sein.

   b. Wenn man mit einen federativen [einer förderativen]
Republik ein solches [solcher] Staatenverband meint, dessen allgemeine
Legislation die legislativen u.a. Rechte der Staaten einschränken kann, so
können die Finnen es nicht gutheissen, weil man daurch den alten
Rechtsboden verlasse und den Weg öffne für Möglichkeiten, welche
für die Demokratie und progressive Entwickelung sehr gefährlich
werden konnten [könnten], ja eine Reaktion riskierten.

   Als a) und b) aus finnischen [finnischem] Standpunkt betrachtet
nicht annehmbar sind, so ist es auch klar, dass die finnische Frage alls
eine innere Frage Russlands den [der] konstituierenden Versammlung Russlands
nicht gelassen werden kann
(es geben [gibt] ja keine Garanteien, dass die
selbe komme den finnischen Landtag und Volk als ebenbürtige Kontrahenten
behandeln), sondern ist es notwendig, dass die finnische Frage bei
Friedensverhandlungen aufkommt, und dass die [das] Selbstbestimmungsrecht des
finnischen Volkes dabei erkannt [anerkannt] und zugestützt

[unterstützt] wird.

   Dann kommen die c) und d) auf.

   c. Eine autonome10 Stellung Fin[n]lands in dem
russischen Reiche, auch wenn es genau definiert wäre, wäre schwierig
aufzuhalten [aufrechtzuerhalten] darum dass es zwischen die [den] kontrahenten
eine enorme Disproportion herrsche - zum Nachteil des kleinen Fin[n]lands.

   Ergo bleibt es nur die Selbständigkeit.

   Was man dagegen erwiedern [erwidern] könne

   1. Selbständigkeit keiner [gemeint: kleiner] Nationen ist
illusorisch im Zeitalter des Grosskapitalismus und Imperialismus.

   Antwort: Und doch will keiner von die freien, kleinen Nationen
sein[e] staatsrechtliche Selbständigkeit preisgeben.

   2. Die Selbständigkeit Fin[n]lands ist eine Utopie.

   Antw.[ort] Dass ist nicht wa[h]r. Es ist nützlich für
die Interessen der Mächte West- und Nord-Europas.

   3. Russland kann es dazu niemals einwilligen11 (die
Lage Russlands, die Herrschaft über Ostsee, Marin[e]stationen u.s.w.).

   Antw.[ort] Aus demokratischen [demokratischem] Standpunkt
können wir nur die erste beachten und können wir nur sagen, dass
diese Frage muss durch Verträge geordnet werden. Auch wäre ja nicht
Fin[n]land in eine[r] aufgezwungene[n] Stellung ein sehr "vertrauenswerter"
Nachbar!

   Die finnischen sozialdemokraten wünschen natürlich in
Verstandnis [im Einverständnis]12 mit den ausländischen
und russischen Sozialdemokraten [zu] arbeiten und hoffen wir diese
überzeugen zu können, dass - wie die Verhältnisse jetzt sig
[sich] geordnet haben - die Freiheit und Demokratie für
Fin[n]land nur Selbständigkeit bedeuten können.

   Andere Fragen

   1. Das Verhältnis zum [zur] Provisorischen Regierung in
Petrograd. - Das muss so geordnet werden, dass die fundamentalen Rechte
Finlands nicht gekränkt werden.

   2. Fin[n]land muss bald haben die Verwirklichung von dringende
Reformen beginnen: Agrarfrage, Arbeiter-Gsetzgebung, Prohibition, Kommunale
Stimmrecht u.s.w.; von welche[n] einige schon ausgearbeitet sind.

   3. Die Finnen in Deutschland. (Siehe Tokois
Rede).13

   4. Vertheidigung Fin[n]lands. - Als die Frage fron [von] Seite
der russischen Regierung (Tsarismus) gestellt ist, so ist es wirklich nichts in
Hast zu machen.

Anmerkungen

1   Auf Notizblockzetteln niedergeschrieben, nicht datiert. Die
sprachlichen Fehler, die z.T. vom schwedischen beeinflußt sind,
beibehalten. Es liegt auch eine hschr. Version auf englisch vor, ebenfalls auf
Notizblockzetteln. Vermutlich ist dieser Beitrag in der Komiteesitzung am
23.5.1917, siehe Dok. Nr. P/18a-b, vorgetragen worden ist. - In dem in Dok. Nr.
P/18a, Anm. 9, nachgewiesenen Rückblick Sirolas am 8.9.1918 wird die
eigene Denkschrift mit "pfui Teufel" kommentiert.

2   Durchgestrichen: "Zustimmung".

3   Darüber steht: "angesprochen".

4   Darüber steht: "Vernichtung".

5   Darüber steht: "Ukasen".

6   Manifest am 20.3.1917, in dem die russische provisorische
Regierung sich als souveräner Machthaber auch im Hinblick auf Finnland
konstituierte, die die finnische Verfassung verletzenden Gesetze aufhob, eine
neue Verfassung für Finnland und die Einberufung des Landtags
ankündigte und Unabhängigkeit im Inneren zugestand. Dazu Upton 1980,
S. 28f.

7   Durchgestrichen: "besondere".

8   Darüber steht: "unabhängig".

9   Durchgestrichen: "unmöglich".

10   Eingeklammert: "reservierte".

11   Verbessert von: "zugeben".

12   Durchgestrichen: "Einverstand".

13   Gemeint die finnischen Jägerbatallione. - Oskari Tokoi
war der sozialdemokratische Regierungschef der Koalitionsregierung. Seine Rede
im Landtag am 20.4.1917, wo er angedeutet hatte, daß Finland anderweitig
Hilfe suchen müsse, falls die finnischen Forderungen (in Richtung
Unabhängigkeit) von russischer Seite nicht berücksichtigt
würden. Die finnischen Aktivisten hatten bei Tokoi vorgesprochen und um
Unterstützung gebeten. Rede nach russicher Quelle in Browder/Kerensky
1961/1, S. 338f.; dazu Kirby 1974, S. 68f, 74, wonach diese Rede allgemein als
Forderung nach Unabhängigkeit interpretiert wurde, und Upton 1980, S.
40-42. Upton bezeichnet die Rede als "a sensation, and almost certainly an
impulsive improvisation". Sie verhärtete den russischen Standpunkt der
Unnachgiebigkeit Finnland gegenüber.