Hollensteiner, Stephan: Aufstieg und Randlage. Linksintellektuelle, demokratische Wende und Politik in Argentinien und Brasilien (= Veröffentlichungen des Ibero-Amerikanischen Instituts Preußischer Kulturbesitz 104). Frankfurt am Main: Vervuert Verlag 2005. ISBN 978-3-86527-239-3; 462 S.; EUR 48,00.
Rezensiert für geschichte.transnational und H-Soz-u-Kult von:
Stephan Scheuzger, Institut für Geschichte, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
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In der Literatur ist die besondere politische Bedeutung der Intellektuellen für die Geschichte der lateinamerikanischen Staaten immer wieder betont worden. Dieser Befund ist allerdings zeitlich und räumlich zu differenzieren. Das wird nicht zuletzt im zeitgeschichtlichen Kontext der Demokratisierungsprozesse deutlich, die die Region in den 1980er- und 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts erfassten. Mit der Überwindung der "bürokratisch-autoritären" Regime der Militärs und der Konsolidierung demokratischer Verhältnisse verbanden sich durchaus unterschiedliche Entwicklungen der politischen Rolle der Intellektuellen. Dies galt gerade auch für die linke Intelligenz, die als Instanz der Kritik und des Widerstandes die Herrschaft der Generäle begleitet hatte. Besonders offensichtlich wurden solche Unterschiede in den 1990er-Jahren in den Nachbarländern Brasilien und Argentinien.
Hier setzt das Buch von Stephan Hollensteiner an, das aus einer am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main eingereichten Dissertation hervorgegangen ist. Bereits in den 1970er-Jahren, also lange vor dem Epochenjahr 1989, hatten sich in der lateinamerikanischen Linken tief greifende Positionsverschiebungen in der Demokratiefrage vollzogen: Der herkömmlich als "reformistisch" gering geschätzte Kampf für die demokratischen Rechte im Sinn einer repräsentativen Demokratie wurde zu einem zentralen Anliegen linker Programmatik. Gerade auch innerhalb der linken Intelligenz stellte sich eine Ablösung von marxistischen Orthodoxien und von Reflexionen über die gesellschaftliche Umgestaltung in den Kategorien der sozialistischen Revolution zugunsten eines Demokratie-Diskurses liberaler Prägung ein. Nicht zuletzt diese Wende eröffnete den Linksintellektuellen Interventionsmöglichkeiten in den Transitionsprozessen seit den 1980er-Jahren. In den 1990er-Jahren präsentierten sich in Argentinien und Brasilien unter den Bedingungen der wieder hergestellten Demokratie allerdings gerade auch die Angehörigen der Generation der "kritischen Soziologie", die von Hollensteiner in den Mittelpunkt der Studie gestellt werden, in sehr unterschiedlichen Zuständen. Während die argentinischen Intellektuellen unter der Präsidentschaft von Carlos Menem um politische Geltung rangen, sahen in Brasilien die "kritischen Soziologen" mit Fernando Henrique Cardoso einen der ihren das Präsidentenamt übernehmen. Hollensteiner setzt sich zum Ziel, die unterschiedlichen Entwicklungen nachzuzeichnen, die zu diesen divergenten Einflusslagen geführt hatten. Dazu vergleicht er die politischen Bedingungen und die ideengeschichtlichen Zusammenhänge, in denen die untersuchten Intellektuellengruppen die politischen Prozesse reflektierten und an ihnen teilnahmen.
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