Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Tagungszentrum Hohenheim, Paracelsusstraße 91, 70599 Stuttgart
Verzicht auf Traditionsstiftung und Erinnerungsarbeit? Narrative der europäischen Frauenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert
Als sich in den 1970er Jahren die zweite Frauenbewegung auf den politischen Bühnen Europas Gehör verschaffte, verstand sie sich weitgehend als neue Bewegung ohne historische Vorläufer. Offenbar war es der alten/ersten Frauenbewegung im letzten Drittel des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht oder nicht ausreichend gelungen, die eigenen Ziele, Aktionen und Errungenschaften in der kulturellen Erinnerung zu verankern. Am deutschen Beispiel lässt sich überdies zeigen, dass in der ersten Frauenbewegung die schriftstellerische Arbeit an der eigenen Traditionsstiftung einigen wenigen Repräsentantinnen überlassen worden war. Sie verankerten die Deutung einer Frauenbewegung, die in wesentlichen Bereichen nicht am bürgerlichen Geschlechtermodell rüttelte, und interpretierten die eigenen Aktivitäten als überparteilich, überkonfessionell, staatstragend und die Nation stärkend. Auch dieses tradierte Selbstbild mag dazu beigetragen haben, Schnittstellen zwischen alter und neuer Frauenbewegung eher zu verschleiern als offenzulegen.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sind die Leitfragen der geplanten Tagung zu verstehen:
1. In welcher Weise betrieben Akteurinnen der ersten europäischen Frauenbewegung ihre eigene Geschichtsschreibung und Traditionsstiftung?
2. Existierten transnationale Bemühungen zur Geschichtsschreibung und Traditionsstiftung der Frauenbewegungen?
3. Welche Lager in den jeweiligen europäischen Frauenbewegungen waren besonders aktiv und erfolgreich in der Erinnerungsarbeit?
4. Welche Bilder von frauenbewegten Aktivitäten wurden transportiert, welche Bereiche marginalisiert oder gar tabuisiert?
5. Welche Traditionsbrüche sind in den jeweiligen nationalen Frauenbewegungen zu beobachten und wie sind diese zu erklären?
6. In welcher Weise rezipierten die neuen europäischen Frauenbewegungen die Geschichte und die Geschichtsschreibung der Vorläuferorganisationen?
Programm
19.3.2018
>>>12:00 Uhr
Mittagessen
>>>13:00 Uhr
Begrüßung und Einführung
Prof. Dr. Angelika Schaser, Hamburg
Prof. Dr. Sylvia Schraut, München
Sektion 1: Traditionsstiftung, Erinnerungs- und Geschichtsarbeit
>>>13:15 Uhr
Strategien der Traditionsstiftung bei der Autorin Louise Otto-Peters
Prof. Dr. Susanne Schötz, Dresden
>>>14:00 Uhr
Die Schriftstellerin Lily Braun und die Frauen der Antike
Traditionsbildung mit begrenzter Reichweite
Prof. Dr. Beate Wagner-Hasel, Hannover
>>>14:45 Uhr
Tremate, tremate, le streghe son tornate
Über die Wirkmacht des Hexen-Narrativs in den europäischen
Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts
Dr. Rita Voltmer, Trier
>>>15:30 Uhr
Kaffee/Tee
>>>16:00 Uhr
Macht/Lust
Wege und Brechungen von Tradierungslinien des radikalen
Feminismus
Prof. Dr. Johanna Gehmacher, Wien
>>>16:45 Uhr
"Geistvoll – doch nicht aufregend"?
Geschichte(n) zur Ersten Frauenbewegung im Münchner Verein für
Fraueninteressen und Frauenarbeit, 1945 – 1959
Mirjam Höfner M.A., München
>>>17:30 Uhr
Pause
>>>17:45 Uhr
"Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch"
Zur historischen Traditionsbildung in sozialistischen Frauenzeitschriften
zwischen Kaiserreich und Nachkriegszeit
Dr. Kerstin Wolff, Kassel
>>>18:30 Uhr
Abendessen
>>>19:45 – 21:15 Uhr
Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung Region
Süd: Projektpräsentationen
Alle Interessierten sind herzlich willkommen.
anschließend geselliger Ausklang des Abends in der Denkbar
20.3.2018
>>>8:00 Uhr
Morgenimpuls
Frühstück
Sektion 2: Hinein- und Hinausschreiben: Traditionsstiftung durch Einund
Ausgrenzungen
>>>9:00 Uhr
Verlorene Erinnerung
Frauenstudium, Frauenbewegung und Damenverbindungen im
Deutschen Reich vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus
Simone Ruoffner, Potsdam
>>>9:45 Uhr
Helene Langes und Gertrud Bäumers Umgang mit konkurrierenden
Konzepten der Frauenbewegungsgeschichte vom Kaiserreich bis
zum Zweiten Weltkrieg
Prof. Dr. Angelika Schaser, Hamburg
>>>10:30 Uhr
Kaffee/Tee
>>>11:00 Uhr
Konfessionelle und regionale Brüche in der Traditionsstiftung der
Frauenbewegung
Prof. Dr. Sylvia Schraut, München
>>>11:45 Uhr
Die Geschichte und Bedeutung von Frauen-/Lesbenarchiven und
-bibliotheken für die Traditionsarbeit innerhalb der Frauenbewegungen
Jessica Bock, Berlin
Dr. Birgit Kiupel, Berlin
>>>12:30 Uhr
Mittagessen
>>>14:30 Uhr
Zwischen 'Rasse' und Klasse?
Zu den Debatten um Ungleichheiten in der Neuen Frauenbewegung
in Deutschland ab 1970
Prof. Dr. Ilse Lenz, Bochum
>>>15:15 Uhr
Kaffee/Tee
Sektion 3: Creating tradition and reminiscence work in the European
Women’s Movements
>>>15:45 Uhr
History and truth
Tradition and legitimation of women's politics in Central Europe
during the 19th and 20th centuries
Prof. Dr. Dietlind Hüchtker, Leipzig
>>>16:30 Uhr
Feminist biography as a tool of history politics
Late 19th and early 20th century Finland and Sweden in a
comparative and transnational analysis
Prof. Dr. Tiina Kinnunen, Oulu (Finnland)
>>>17:15 Uhr
Pause
>>>18:00 Uhr
Abendessen
>>>19:00 Uhr
Öffentlicher Abendvortrag
Warum Frauenbewegungen in Vergessenheit geraten oder auch
nicht
Die Rolle von aktivem Gedenken und Medien
Prof. Dr. Susanne Kinnebrock, Augsburg
anschließend Imbiss im Foyer
Mittwoch, 21. März 2018
21.3.2018
>>>8:00 Uhr
Morgenimpuls
Frühstück
>>>9:00 Uhr
Unrecognized Transnationalism
A counter history of the early Italian women's movement
Dr. Ruth Nattermann, München
>>>9:45 Uhr
Victories and defeats, successes and failures of Russian women's
movements in cultural memory, soviet and post-soviet scholarship
1917 – 2017
Prof. Dr. Natalia Pushkareva, Moskau
>>>10:30 Uhr
Kaffee/Tee
>>>11:00 Uhr
The feminist movement in Spain
Forgetfulness and disagreements
Dr. Soraya Gahete Muñoz, Madrid
>>>11:45 Uhr
Abschlussdiskussion
>>>13:00 Uhr
Mittagessen
Tagungsleitung