des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation der belgischen Arbeiterpartei, 30. Juni 1917

P/46
ARAB, Holländsk-skandinaviska kommittén, Box 1. Hekt., 23 S.1

MEMORANDUM DE LA DELEGATION BELGE AU COMITE HOLLANDO-SCANDINAVE.

   Le Comité hollando-scandinave a reçu samedi 30
juin la délégation belge, composée du citoyen Emile
Vandervelde, Président du Bureau Socialiste International, et Louis de
Brockère, délégué suppléant au Bureau
Socialiste International, tous deux membres du Conseil Général du
Parti Ouvrier Belge.2

   La délégation a formulé son point de vue
dans le Memorandum suivant:3

   [...]4

   Emile Vandervelde.

   Louis de Brockère.

Anmerkungen

1   Auch CHA, Stockholm, N. & C., Juli 1917:1 (auf franz.,
mschr. und hekt.); IISG, NL Wibaut, 226; IISG, Collection Deuxième
Internationale, 223; PA AA, WK Nr. 2 c, Bd. 6, S. 53-76; schwed.
Social-Demokraten 5.7.1917, S. 1 und 6, u. 6.7., S. 7. - Zur Sitzung Claeys-Van
Haegendoren 1967/1, S. 99f.; Welcker 1985, S. 53; Geldolf 1996, S. 259-262;
nichts in der Vandervelde-Biografie von Polasky 1995. - Die Beurteilung von
Huysmans, daß die Belgier jetzt "partisans de Stockholm" seien, so in
einem Brief an seine Tochter Sara am 4.7.1917, war nach Geldolf "sicher etwas
zu optimistisch" ("zeker wat te optimistisch"). Einen negativen Eindruck von
dem Kontakt mit Vandervelde vermittelte Vliegen in einem Brief an Wibaut,
29.6.1917, IISG, NL Wibaut, 226; er merkt auch kritisch an, daß sich die
Belgier geweigert hätten, Victor Adler und Karl Kautsky zu treffen. Der
Vorfall, der besonderes Aufsehen erregte, war die Weigerung Vanderveldes, eine
Einladung von Victor Adler, ihn zu treffen, anzunehmen. In einem
erklärenden Brief schrieb Vandervelde an Adler am 26.6.1917, zitiert bei
Marin 1996, S. 140: dies sei nicht aus prinzipiellen Gründen geschehen,
sondern weil einem Treffen sofort tendenziös eine politische Bedeutung
zugesprochen worden wäre. "Force m'est donc de faire ce sacrifice à
min pays". Im Rückblick dazu schrieb Vandervelde 1939, S. 229, daß
er diese Entscheidung schweren Herzens getroffen habe und es ihn nach wie vor
schmerze. Diesen Vorfall nennt Großmann 1979, S. 265, in seinen
Erinnerungen von seinem Aufenthalt in Stockholm im Sommer 1917: "Vandervelde,
der mit Viktor Adler auf du und du gestanden, ging an seinem Tisch [im Grand
Hotel] vorbei, ohne ihn zu grüßen. Wo war die Brüderlichkeit
von gestern? [...] Die Internationale war geborsten, man ging stumm, wenn
nicht gar feindselig aneinander vorrüber". Zu Kautsky siehe Brief von De
Man an Kautsky, 4.7.1917, in Kuypers 1965, S. 437-439. - Vandervelde weigerte
sich auch, Gustav Mayer zu treffen, was dieser enttäuscht in seinen
Erinnerungen notiert. Durch Huysmans und Troelstra sei er aber über das
Gespräch im Komitee informiert worden. Angeführt wird, Mayer 1949, s.
267, die Überzeugung vom Sieg der Entente an und die Weigerung mit
Parteien der feindlichen Staaten auf einer allgemeinen Konferenz
zusammenzutreffen, auch daß Vandervelde sich bereit erklärt habe,
den Parteien in Frankreich und England die Entsendung von Delegationen nach
Stockholm zu empfehlen. - Siehe auch unten Anm. 2 und 3.

2   Vandervelde, De Brouckère und De Man waren auf dem
Rückweg von ihrem Besuch in Rußland. Sie kamen am 28.6.1917 nach
Stockholm und fuhren am 1.7. weiter nach Kristiania. Vandervelde gab nach der
Ankunft Interviews über seine Reise nach Rußland, in Dagens Nyheter
29.6.1917, S. 1; schwed. Social-Demokraten 30.6., S. 6; gegenüber
Stockholmer Korrespondenten von Nieuwe Rotterdamsche Courant, auf deutsch in
Internationale Korrespondenz (IK) Nr. 26, 9.7.1917, S. 191f. Dort werden auch
die Ablehnung einer Vollkonferenz bei Teilnahme der MSPD, die positive
Beurteilung der Vorkonferenzen ("unstreitig gute Resultate im Sinne der
Beeinflussung der öffentlichen Meinung"), die Meinungsverschiedenheiten
mit dem Arbeiter- und Soldatenrat über dessen Konferenzinitiative und die
Notwendigkeit einer Fortsetzung des Krieges gegen den deutschen Imperialismus,
um den Frieden zu erreichen, angesprochen. - Mit Vandervelde und De Man hatte
die holländische ISB-Delegation bereits am 12.5.1917 ein Gespräch
geführt, siehe Dok. Nr. P/9, und zwei Komiteesitzungen fanden am 12.-13.5.
statt, siehe Dok. Nr. P/10 und Nr. P/11. Mit De Brouckère hatten die
holländischen und schwedischen ISB-Delegationen am 30.4.1917 ein
Vorgespräch geführt, siehe Dok. Nr. P/5. - Nach der Komiteesitzung
führten Branting, Stauning, Borgbjerg und Vidnes in Kristiania am 2.7.1917
nochmals ein Gespräch mit Vandervelde, De Brouckère und De Man.
Siehe Vandervelde 1918, S. 186-188; Welcker 1985, S. 53f.; Geldolf 1996, S.
262f.; Jørgensen 1964, S. 148, fälschlich zu Ort (Kopenhagen) und
Inhalt des Gesprächs; nichts bei Polasky 1995. Nach Vandervelde habe
Branting im Gespräch für eine Teilnahme an einer allgemeinen
Konferenz plädiert, da u.a. die Neutralen und auch die USPD für die
Entente seien und die MSPD isoliert sei. Dies habe jedoch nicht überzeugt,
"nos objections restèrent et, plus que jamais, restent entières",
schreibt Vandervdelde. Welcker bezeichnet das Gespräch als "einen
letzten Versuch" der Belgier, die Skandinavier davon zu überzeugen,
daß eine allgemeine Konferenz "zwecklos, ja sogar gefährlich" sei. -
In Kristiania gab Vandervelde ein Interview in norw. Social-Demokraten
3.7.1917, S. 1 (mit Bild De Man, Stauning, Vandervelde, Vidnes, Branting, De
Brouckère und Buen); Übersetzung übermittelt v. Hintze an
Bethmann Hollweg, 9.7.1917 in PA AA, WK Nr. 2 c, Bd. 5. Er sei "ein
entschiedener Gegner" der Vorkonferenzen gewesen, jetzt lege er ihnen aber "die
größte Bedeutung" bei. Im Hinblick auf die allgemeine Konferenz
müsse man sich "eine Zeit lang abwartend verhalten". Die
Meinungsverschiedenheiten seien groß. Es gelte u.a. eine interalliierte
Sozialistenkonferenz abzuwarten. Es sei erfreulich, daß sämtliche
Delegationen die Wiederherstellung Belgiens forderten, sogar die der MSPD. Der
Unterschied im Ton zwischen den Stellungnahmen der MSPD und der SDAPÖ
sowie den bulgarischen, ungarischen, tschechischen Delegationen sei jedoch
"sehr charakteristisch". Wie Albert Thomas habe er ansonsten bei der
Lektüre des Memorandums der MSPD "unbehagliche Gefühle" gehabt
(Elsaß-Lothringen, Unabhängigkeit für Marokko und Tibet, aber
nicht für Deutsch-Polen und nur beschränkt für Russisch-Polen).
Aber es gebe ja abweichende Stellungnahmen seitens der USPD. Dort werde auch
der Kampf gegen die deutsche imperialistische Regierung proklamiert.

3   Die wichtigsten Forderungen, die in etwa der Stellungnahme
gegenüber dem russischen Arbeiter- und Soldatenrat entsprach waren: Der
Krieg werde gegen die schuldigen Mittelmächte und "triple force
d'oppression et de réaction" (Deutschland, Österreich-Ungarn,
Türkei), in erster Linie gegen den deutschen Imperialismus, geführt
und sei seitens der Entente ein "guerre de défense et de
libération". Eine Zusammenarbeit mit der MSPD sei nur möglich, wenn
sich diese von der Regierung distanziere, u.a. von der aggressiven
Kriegführung und Politik in Belgien. Man sei gegen "démembrement"
von Deutschland und Österreich-Ungarn, aber grundsätzlich für
das Selbstbestimmungsrechts auch der dort vertretenen Nationalitäten (z.B.
Bosnier, Tschechen, Rumänen). Weiter trete man für
"désannnexion" von Elsaß-Lothringen und für die
Wiederherstellung Belgiens ein. Die flämische Frage sei innerhalb eines
selbständigen Belgiens eigenverantwortlich zu lösen. Man nehme an der
Stockholmer Konferenz teil, wenn alle sozialistischen Parteien gegen den
imperialistischen Charakter des Krieges und für die Formel ohne Annexionen
und Kriegsentschädigungen Stellung genommen hätten, ansonsten sei
eine Vollkonferenz "inutile et dangereuse". Die Vorkonferenzen seien jedoch
nützlich und könnten "grands résultats" erbringen.

4   Das Memorandum abgedruckt in Stockholm 1918, S. 69-85. Dieses
Memorandum wurde in der BWP/POB als belgische Antwort auf den Fragebogen
akzeptiert, ohne jedoch näher diskutiert zu werden, und am 22.8.1917 vom
Parteivorstand gebilligt. Ein zweites belgisches Memorandum ist in
Stockholm 1918, S. 46-68, abgedruckt. Es war von Joseph Wauters verfaßt
worden, der ab Mitte Juli Teile daraus im Parteivorstand vorlas. Es sollte das
andere Memorandum "ergänzen" und "präzisieren", wurde aber nicht als
Antwort auf den Fragebogen ausgegeben und war offensichtlich nicht für das
Stockholmer Komitee gedacht. Von den Vorstandsmitgliedern wurde es ohne
Diskussion angenommen und ebenfalls am 22.8. offiziell gebilligt. Ende Juli
wurde es an Vandervelde und De Brouckère gesandt, um es in der
interalliierten Konferenz zu verwenden und "an alle, die ein Anrecht darauf
haben", weiterzuleiten. - Das zweite Memorandum enthielt nach De
Brouckères Brief an Branting, 7.9.1917, "exactement les vues
exposées par Vandervelde et moi devant le Comité
Hollando-scandinave", in ARAB, NL Branting, 3.1:11. Nach Claeys-Van Haegendoren
1967/1, S. 100, war es "weniger nuanciert und unversöhnlicher" ("minder
genuanceerd en onverzoenlijker"). Ähnlich auch Geldolf 1996, S. 261f., der
auf die Unterschiede zwischen den beiden Memoranden eingeht. Im zweiten
Memorandum wird u.a. die Befreiung der Tschechen, Slowaken, Ruthenen,
Italiener, Serbier und Rumänen in Österreich-Ungarn gefordert. Es
wird gegen verschiedene sozialistische "manœvres de paix" Stellung
genommen. Es protestiert gegen jede belgische Vertretung in Stockholm, die
nicht von der BWP/POB ausgehe, was sich gegen die flämische Gruppe um
Joris, aber auch scharf gegen den belgischen "Bund" in Holland (Jamar)
richtete. Troelstra wird wegen der Vorkonferenz mit den Flamen (Joris)
kritisiert, und deshalb wird die Neutralität des Komitees angezweifelt.
Hinsichtlich des Kampfes gegen das imperialistische Deutschland, "le retour pur
et simple" von Elsaß-Lothringen, der Wiederherstellung Belgiens und
notwendiger Vorbedingungen seitens der sozialistischen Parteien vor einer
Kontaktaufnahme und Konferenzbeteiligung stimmen beide Memoranden grundlegend
überein. Wauters war nach der Konferenzeinladung am 11.7.1917
offensichtlich bestrebt, eine deutliche Abgrenzung der BWP/POB gegenüber
Jamar und Joris sowie Anseele und alle, die für "Stockholm" eintraten,
Huysmans eingeschlossen, dessen Name allerdings in den Protokollen der BWP/POB
nicht vorkommt, festzulegen. - Geldolf, der sich zunächst fragt, warum im
belgischen Fall zwei Memoranden, die nicht ganz richtig als vorläufiges
und offizielles bezeichnet werden, in der Dokumentation über die
Stockholmer Konferenz aufgenommen worden sind, hat Verständnis für
diese Maßnahme von Huysmans. Nach dem Urteil von Claeys-Van Haegendoren
1967/1 habe sich die BWP/POB u.a. durch ihre Memoranden "sehr deutlich" ("zeer
duidelijk") innerhalb der sozialistischen Bewegung isoliert; allerdings gab es
auch abweichende belgische Stellungnahmen (dazu S. 101-108).