Die Grünen im Bundestag

Review: Mende on Boyer and Heidemeyer

Boyer, Josef; Heidemeyer, Helge (Hrsg.): Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle und Anlagen 1983-1987 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe: Deutschland seit 1945, 14). Düsseldorf: Droste Verlag 2008. ISBN 978-3-7700-5286-8; 2 Halbbände, CXXVII, 1137 S., 17 SW-Abb.; EUR 140,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Silke Mende, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
E-Mail: [mailto]silke.mende@uni-tuebingen.de[/mailto]

Vorherrschende Bilder und Assoziationen an die Anfänge der GRÜNEN greifen nicht nur außerparlamentarische Auseinandersetzungen etwa um den Bau von Atomkraftwerken oder den NATO-Doppelbeschluss auf, sondern sind ebenfalls wesentlich an die ersten Auftritte von grün-alternativen Abgeordneten in bundesdeutschen Parlamenten geknüpft. Joschka Fischers Turnschuh-Vereidigung als hessischer Umweltminister 1985 gehört genauso dazu wie der Ausspruch desselben Protagonisten: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch."

Die Fraktionsprotokolle der GRÜNEN im Bundestag aus deren erster Legislaturperiode von 1983 bis 1987 unterstreichen diese einprägsamen Eindrücke und Erinnerungen, helfen jedoch auch, sie zu ergänzen, zu differenzieren und teilweise zu korrigieren. Die beiden Halbbände stehen einerseits in der bewährten Kontinuität der von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien herausgegebenen Quellenreihe. Andererseits betreten die Bearbeiter - Josef Boyer, Helge Heidemeyer und mitwirkend Tim B. Peters - Neuland, ist die Arbeit der ersten grünen Bundestagsfraktion mit dem Sitzungsalltag der etablierten Fraktionen im Bonner Bundeshaus doch nur schwerlich vergleichbar.

Die GRÜNEN waren aus den Neuen Sozialen Bewegungen hervorgegangen, die die politische Bühne in der Bundesrepublik wie überall in Westeuropa an der Wende zu den 1970er-Jahren betreten hatten. Sie setzten neue Themen und Politikfelder auf die Agenda und vertraten ein Demokratie- und Politikverständnis, das einerseits an die unkonventionellen Aktionsformen der "68er" anknüpfte, andererseits dem kritisierten Prinzip repräsentativer Demokratie den schillernden Begriff der Basisdemokratie gegenüberstellte. Wie meistert eine selbsternannte "Anti-Parteien-Partei" den Spagat zwischen den Bewegungen, aus denen sie hervorgegangen ist und denen sie sich verpflichtet fühlte, und den kritisierten Parlamenten, in die sie qua Parteigründung einzuziehen gedachte? Diese grüne Gretchenfrage hatte bereits die Formierungsphase der Partei begleitet. Die Arbeit grün-alternativer Abgeordneter in verschiedenen Kommunal- und Landesparlamenten und vor allem der Einzug in den Bundestag - das "Forum der Nation" (Dok. 9, Anlage A, S. 47), wie Petra Kelly es formulierte - machte die Problematik nochmals drängender."War die Fraktion ein eigenständiger Handlungsträger, eine Körperschaft aus eigenem Recht, oder nur ein ausführendes Organ der Partei, gar einer wie auch immer gedachten Parteibasis oder, weiter noch, der Neuen Sozialen Bewegungen?" (S. XVI) Diese Frage bildete das Leitmotiv für die Arbeit der ersten grünen Bundestagsfraktion und prägt auch die Edition ihrer Protokolle.

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