Behrens, Hermann; Hoffmann, Jens; Institut f. Umweltgeschichte u. Regionalentwicklung e.V (Hrsg.): Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte (= Band 1: Politische und umweltrechtliche Rahmenbedingungen; Band 2: Mediale und sektorale Aspekte; Band 3: Beruflicher, ehrenamtlicher und freiwilliger Umweltschutz). München:Oekom Verlag 2008. ISBN 978-3-86581-059-5; 1100 S.; EUR 54,80.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Jörg Roesler, Leibniz-Sozietät Berlin
E-Mail: [mailto]JoergRoesler@t-online.de[/mailto]
Ende Januar 1990 behandelte der Runde Tisch auf seiner 10. Sitzung die Umweltpolitik der DDR und fällte ein vernichtendes Urteil: "Die gesamte sogenannte Umweltpolitik als "Einheit von Ökologie und Ökonomie" war von vornherein Ökonomie-dominant und von anfangs bornierter bis später hilfloser Ignoranz gegenüber den ökologischen Bedürfnissen getragen." Auf der Grundlage von Daten, die für die Verhandlungen am Runden Tisch zusammengetragen worden waren, erschien noch im gleichen Jahr der "Umweltreport DDR".[1] In den folgenden Jahren befassten sich mit der Umweltgeschichte der DDR vor allem zwei Gruppen von Veröffentlichungen: Es erschienen einerseits Publikationen, verfasst von führenden Köpfen der seit den 1980er-Jahren oppositionellen Umweltgruppen[2], andererseits wurden von westdeutschen DDR-Forschern Aufsätze publiziert, in denen die "Umweltskandale in der DDR" anhand einer Vielzahl von Beispielen (mit entsprechenden Fotos) vorgeführt und die SED-Führung moralisch wegen unterlassener bzw. falscher Information der Bevölkerung an den Pranger gestellt wurde. Diese Darstellungen waren faktenreich, jedoch einseitig, indem z.B. das Territorium der DDR als ein "ökologisches Minenfeld voller Altlasten" dargestellt wurde, ohne auf den "Mülltourismus" der Bundesrepublik in Richtung DDR einzugehen, bzw. auch dadurch, dass man sich auf die Schwefeldioxidemission (verursacht vor allem durch Braunkohlekraftwerke) konzentrierte, deren Werte für die DDR um ein Mehrfaches schlechter waren als für die BRD. Gleichzeitig wurde die Stickoxidemission (hervorgerufen vor allem durch den Kraftverkehr auf der Straße), bei der die Emissionsdaten beider Staaten annährend gleich waren, kaum kommentiert.[3] [...]
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Dolores L. Augustine. Red Prometheus: Engineering and Dictatorship in East Germany, 1945-1990. Cambridge MIT Press, 2007. xxx + 381 pp. Illustrations. $40.00 (cloth), ISBN 978-0-262-01236-2.
Reviewed by Mark Finlay
Published on H-German (October, 2008)
Commissioned by Susan R. Boettcher
How They Used Their Chance
In preparation for its eleventh and final _Parteitag_ in 1986, the Social Unity Party (SED) of the German Democratic Republic (GDR) produced a colorful poster that blared the headline "Wir haben die Chance genutzt!" Under photographs of Soviet soldiers liberating Berlin in 1945, the deliberations of Erich Honecker with other political leaders, and text that celebrated the GDR as a land of peace and prosperity, the poster featured a female engineer operating a huge bank of computers and other complex electronic equipment. This imagery pointed to a central message in East German rhetoric: that the socialist nation and its centrally planned economy, combined with German traditions in engineering and innovation, could bring real advances in the realms of science and technology.
Dolores L. Augustine tests these claims in _Red Prometheus_. A strong addition to the recent works that go beyond the realm of politics to investigate the GDR's complex history, Augustine's research interests become evident in the book's opening words, "What is the relationship between dictatorship and science" (p. xi)? Beginning with that question, Augustine examines the levels of scientific achievement that occurred under the Nazi, Soviet, and other oppressive regimes. Focusing on the GDR's high-tech industries, Augustine moves beyond Cold War assumptions that scientific enterprise under totalitarian regimes had to be inherently inferior, and presents a more nuanced view that addresses both East Germany's impressive successes and tragic failures.
The history begins with fascinating details on several of the thousands of German scientists and engineers who were transferred to the Soviet Union in the aftermath of World War II. Many found themselves tempted by Soviet offers of status, higher food rations, and the opportunity to help build a more technocratic society. When permitted to return to their homelands in the new GDR, they were reassured similarly with promises of becoming privileged leaders in a new nation. Under GDR leader Walter Ulbricht, scientists and engineers typically began their careers with a satisfying degree of prestige and worked in a relatively apolitical environment. [...]
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Fenemore, Mark: Sex, Thugs and Rock'n Roll. Teenage Rebels in Cold-War East Germany (= Monographs in German History Volume 16). New York: Berghahn Books 2007. ISBN 978-1-57181-532-3; 277 S.; EUR 45,00.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Heiner Stahl, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
E-Mail: [mailto]stahl@zzf-pdm.de[/mailto]
Mark Fenemores Veröffentlichung über die Leipziger Meuten in den 1950er- und 1960er-Jahren zeichnet unterschiedliche Beschreibungen männlicher Jugendkulturen nach. In dieser bereits 2002 bei Mary Fulbrook am University College London vorgelegten Arbeit geht es am Beispiel der Rock'n'Roll-Subkultur darum, wie abweichendes Verhalten im öffentlichen Raum in Leipzig seitens der SED wahrgenommen, verhandelt und von den Repressionsorganen verfolgt wurde. Er geht dabei deutlich über die wichtige Arbeit von Yvonne Liebing hinaus.[1]
Körperlichkeit, Männlichkeit und Rock'n'Roll[2] misst Fenemore an den verschiedenen Traditionsbeständen eines arbeiterlichen Machismo. An Fenemores Blickwinkel inspiriert besonders, wie er die Theoriebildung der Birmingham School of Cultural Studies zu working-class-subcultures in der englischen Nachkriegszeit auf eine sozialistische Gesellschaft der Arbeiter und Bauern anwendet. Oder andersherum betrachtet: Wie wird aus der arbeiterlichen "body politics" des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und - in Brüchen und Adaptionen auch des NS - der männliche Körper in einer sozialistischen Nation geformt? Und vor allem: Mit welchen diskursiven Strategien wurden die ästhetischen Impulse der Amerikanisierung in der Nachkriegszeit entweder als "proto-faschistisch"oder als "verweiblichend" gerahmt. Der Militärdienst in der NVA leistete auch seinen Beitrag. Er sollte die Erziehung der männlichen Jugend zum sozialistisch "Guten" wenden und die Jungs zu "deutschen Männern" machen (S. 184). Dies stärkte aber wohl nur die Faszination für Waffen, verbotenes Liedgut und soldatische Männlichkeitsrituale.
In der bemerkenswerten Klarheit des Satzes "although the young men involved in the youth subcultures were unquestionable German, their music was not" (S. 187), verdeutlicht Fenemore, woraus sich die Distinktionsgewinne speisten, die mit abweichendem Verhalten gegenüber den Institutionen sozialer Repression - Lehrer/Eltern und gesellschaftlicher Repression sowie Polizei/SED - zu erzielen waren. Der Autor führte eine Menge von Einzelbeispielen an, beschreibt den Mechanismus der Identifikation mit dem gesellschaftlich Abgelehnten und Abgesonderten. Fenemore nennt es "negative identification" (S. 216). Zum Bersten gefüllte Leipziger Veranstaltungssäle bei Beat-Konzerten oder die Wiedereroberung öffentlichen Raumes durch die jugendlichen Meuten gehören in diesen Zusammenhang. Fenemores Studie vermag es, das Verhältnis von subkultureller Devianz und ihrer Unterdrückungsformen- und techniken zu erzählen. Für Leipzig gelingt ihm das auch sehr anschaulich.
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Finke, Klaus: Politik und Film in der DDR. Zum heroischen Selbstbild des Kommunismus im DEFA-Film (= Oldenburger Beiträge zur DDR- und Defa-Forschung, Band 8.1 & 8.2). Oldenburg: BIS-Verlag der Universität Oldenburg 2008. ISBN 978-3-8142-2093-2; 989 S.; EUR 29,80.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Kai Herklotz, Department of German, Carleton College, Northfield/Minnesota
E-Mail: [mailto]kherklot@carleton.edu[/mailto]
Klaus Finkes Monographie Politik und Film in der DDR erscheint als achter Band der von der Arbeitsstelle "DEFA-Filme als Quelle zur Politik und Kultur der DDR" herausgegebenen Schriftenreihe "Oldenburger Beiträge zur DDR- und DEFA-Forschung", bei der Finke als Mitherausgeber fungiert. Der Schwerpunkt der Arbeitsstelle liegt neben der Beschäftigung mit Spiel- und Dokumentarfilmen der Deutschen Film AG (DEFA) in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Diktatur- und Demokratiegeschichte des 20. Jahrhunderts. Dem Konzept der Reihe und anderen gegenwärtigen wissenschaftlichen Analysen der DDR folgend, verortet Finke seine Studie als Beitrag zur Untersuchung des "ideologisch begründeten totalitären Herrschaftsanspruchs" und der "diktatorischen Herrschaftspraxis" der "kommunistischen SED-Herrschaft" (S. 16). Dementsprechend versteht sich das Buch explizit als Beitrag zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Film wird in diesem Zusammenhang konsequent als Untersuchungsgegenstand verstanden, der einen "Zugang zum Selbstbildnis des Sozialismus als Herrschaftssystem und einen sozialhistorisch relevanten Blick in die Sozialwelt" (S. 36) der DDR ermöglicht.
Der Autor beschreibt das Selbstverständnis der kommunistischen Ideologie und der historischen Mission der SED-Führung als anthropozentrische Teleologie, als politische Religion: Sie habe die Vernunft als Prinzip der Neuzeit negiert und ersetzt durch eine Verschmelzung von Politik und Religion und damit ein totalitäres System geschaffen. Den Widerspruch zwischen demokratischem Herrschaftsanspruch und tatsächlichem Totalitarismus sieht Finke als Ursache einer fundamentalen Selbsttäuschung der DDR-Führung. Dieser Widerspruch werde unter anderem auch in DEFA-Filmen sichtbar und analysierbar. [...]
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Josie McLellan. Anti-Fascism and Memory in East Germany: Remembering the International Brigades 1945-1989. Oxford Clarendon Press, 2004. xi + 228 pp. $215.00 (cloth), ISBN 978-0-19-927626-4.
Reviewed by Dan Todman
Published on H-War (December, 2008)
Commissioned by Janet G. Valentine
Germans and the International Brigade
On first thought, an examination of the way in which the participation of the approximately four thousand German speakers who fought on the Republican side in the Spanish Civil War was remembered in East Germany might seem to be a niche study within a specialization. Such preconceptions should be put aside; Josie McLellan's _AntiFascism and Memory_ is an excellent book, marked by its breadth of source material and the subtlety of its analysis, that deserves to be very widely read. It obviously will have relevance for scholars specializing in the German Democratic Republic, for historians of the mythology and "afterlife" of the Spanish Civil War, and cultural historians of the Cold War. But it should also find itself on the reading list of all those interested in the "memory" and remembrance of war more generally, for it is to this field that it makes a striking contribution.
McLellan describes how pre-Second World War German antifascism became a central plank of East German political culture beginning in 1945. The active, armed agency embodied by those who fought for the Left in Spain--the _Spanienkämpfer_--was particularly attractive to the state, because it offered an alternative to the shared Nazi past that could be used to motivate, control, and absolve its people of responsibility for Nazi actions. To these ends, German participation in the International Brigades was commemorated and celebrated across the cultural spectrum. Ceremonies were held to award veterans medals, officially ordained histories were published, and the International Brigades became a mainstay of East German childhood through treasure hunts, via story books, and in campfire sing-alongs. The place of the 1000 East German antifascist veterans in this commemorative activity was persistent, but unstable. They had often become state functionaries, and most remained fiercely loyal to the party. They were often willing and eager to adapt their public remembrance of the war to the state line--a matter of pragmatism as well as personal fulfillment after the wholesale screening and purging of the SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, the German Socialist Unity Party) in the early 1950s. [...]
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Scherstjanoi, Elke: SED-Agrarpolitik unter sowjetischer Kontrolle. 1949-1953 [+ CD-Rom]. Berlin: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2007. ISBN 978-3-486-57994-9; VII, 648 S.; EUR 69,80.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Siegfried Kuntsche, Uelitz
E-Mail: [mailto]siegfried.kuntsche@freenet.de[/mailto]
Nach langjährigen Forschungen zur Geschichte der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland (SKK) legt die Autorin nun eine spezielle Darstellung zum Zusammenwirken mit der SED-Parteiführung in der Agrarpolitik vor. Erstmalig wird für ein gesellschaftliches Teilgebiet die Aktenüberlieferung in den russischen Archiven ausgewertet, wobei allerdings die Akten des Ministerrats und einige weitere Fonds verschlossen blieben. Die Dokumente werden referiert - teils auch auszugsweise zitiert - und mit der teilweise schon bekannten Aktenüberlieferung aus der Tätigkeit des SED-Politbüros und der ZK-Abteilung Landwirtschaft verglichen. Die Autorin war bemüht, das Wissen von Zeitzeugen in die Rekonstruktion von Bedingungen und Herausforderungen der Agrarpolitik einzubeziehen. Sie befragte Erich Knorr, seinerzeit stellvertretender Generalsekretär der VdgB, und trat auch mit den beiden noch lebenden Führungsoffizieren der SKK K. I. Koval' und L. A. Korbut in Kontakt.
Die detaillierten Untersuchungen konzentrieren sich auf den Zeitraum zwischen der DDR-Gründung 1949 und dem "Neuen Kurs" 1953. In einem Vorspann wird auf die Agrarpolitik seit der Bodenreform 1945/46 zurückgeschaut (S. 41-154). Dabei wird der Blick schließlich auf das auch für den Agrarsektor bedeutsame Moskauer Spitzentreffen im Dezember1948 und seine Wirkungen 1949 gelenkt. Nachfolgend wird die Genese der Agrarpolitik bis Mitte 1952 analysiert. Das letzte Kapitel, das ein Viertel der Darstellung einnimmt, bezieht sich auf die Agrarpolitik ab November 1952 sowie ihre Folgen für die Herrschaftskrise 1953 sowie auf die Kurskorrektur (S. 425-591). [...]
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Miethe, Ingrid; Schiebel, Martina: Biografie, Bildung und Institution. Die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten in der DDR (= Biographie- und Lebensweltforschung 6). Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008. ISBN 978-3-593-38604-1; 364 S.; EUR 39,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Blanka Koffer, Berlin
E-Mail: [mailto]blanka.koffer@cms.hu-berlin.de[/mailto]
Nicht Volkshochschule, nicht Gymnasium, sondern sowjetisch inspirierter Zweiter Bildungsweg mit großem Effekt: Der Besuch der in Deutschland bis dato ungekannten Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF) ermöglichte in den Jahren 1946 bis 1962 etwa 35.000 Erwachsenen die Aufnahme eines Hochschulstudiums, davon gut 70 Prozent aus Elternhäusern ohne höhere Bildung. Bereits seit 1945 wurde diese neue Einrichtung unter den Bezeichnungen "Vorstudienabteilungen", "Vorstudienschulen" oder "Vorstudienanstalt" (VA) an Universitäten, Hochschulen und Volkshochschulen in der sowjetischen Besatzungszone eingeführt, um den bildungsfernen Schichten einen beruflichen Aufstieg zu gewährleisten und gleichzeitig einen durchgreifenden Elitenwandel zu erreichen. In den 1960er-Jahren wurden die ABF geschlossen mit Ausnahme der Einrichtungen in Halle/Saale und Freiberg, die nach 1968 allerdings ein grundlegend anderes Profil aufwiesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte diese Übergangseinrichtung ihren Zweck erfüllt: In der zeitgenössisch so benannten "entwickelten sozialistischen Gesellschaft" der 1970er- und 1980er-Jahre war sie offensichtlich nicht mehr notwendig.
Die Frage nach Funktion und Wirkung einer ausgewählten Institution nicht nur im entsprechenden historischen Kontext, sondern auch im kollektiven und individuellen Gedächtnis der Akteure zu untersuchen, haben sich die Autorinnen vorgenommen. Dass aus umfangreichen eigenen Vorarbeiten geschöpft werden konnte, trägt zur gesättigten Durchdringung der Thematik bei. Der Titel ist allerdings etwas irreführend, geht es doch ausschließlich um die Geschichte der VA/ABF Greifswald (1947-1962). In sechs Kapiteln präsentieren die Autorinnen ihre Forschungsergebnisse. [...]
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Niemann, Mario: Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen 1952-1989. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2007. ISBN 978-3-506-76401-0; 446 S.; EUR 39,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Andreas Malycha, Forschungsstelle Zeitgeschichte, Institut für Geschichte der Medizin an der Charité Berlin
E-Mail: [mailto]andreas.malycha@charite.de[/mailto]
In der Bilanz des Forschungsstandes über die Geschichte kommunistischer Herrschaft in Ostdeutschland nach 1945 fällt auf, dass die Staatspartei SED in der nahezu unüberschaubaren Publikationsvielfalt zur Geschichte der DDR in den Jahren seit 1989/90 nur für die Konstituierungsphase der kommunistischen Diktatur (1945/46-1961) besondere Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Totalität der Herrschaft der SED wird zwar häufig betont, doch ist die Zahl einschlägiger Arbeiten zur historischen Aufhellung dieses Phänomens eher begrenzt. Das trifft vor allem dann zu, wenn nach den Entscheidungsabläufen innerhalb der SED-Führung bis hinab zur Basis gefragt wird. Möglichkeiten und Grenzen bezirklicher Regionalpolitik in der diktatorisch, zentralistisch und planwirtschaftlich geprägten DDR wurden bislang nur sehr selten auf wissenschaftlicher Grundlage thematisiert.
In den letzten Jahren entstand erfreulicherweise eine ganze Reihe von Studien, die sich mit den Bezirksleitungen der SED als regionalen Mittelinstanzen der Partei beschäftigten und zur Aufhellung von Strukturen, Funktionen und Funktionswandel der Bezirke beitrugen.[1] Die vorliegende Arbeit von Mario Niemann - seine im Wintersemester 2005/2006 von der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock angenommene Habilitationsschrift - führt diese größtenteils biographisch angelegten Untersuchungen auf einer breiteren Ebene weiter, indem Handlungsmöglichkeiten, Gestaltungsfähigkeit, Eigeninteressen, Karrieremuster und Netzwerke der hauptamtlichen Bezirkssekretäre der SED als DDR-typische Repräsentanten von Regionaleliten im Zeitraum von 1952 bis 1989 analysiert werden. Dabei werden die DDR-Bezirke eben nicht ausschließlich als nachgeordnete Verwaltungseinheiten verstanden, sondern auch als regionale Lebens-, Handlungs- und Gestaltungsräume, Struktur-, Funktions- und Elitenzusammenhänge, Aktionsfelder - "Bühnen" - der hier agierenden Regionaleliten. Auf diese Weise gelingt es, Spielräume für regional interessengeleitetes Handeln, Aktionsfelder für bezirkliche Regional- und Strukturpolitik sowie partiellen "regionalen Eigensinn" kenntlich zu machen. [...]
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