Zu den Aufgaben der Luxemburger Nationalbibliothek gehört u.a. die Erforschung der Luxemburger Bibliothekslandschaft vom Echternacher Skriptorium bis ins 21. Jahrhundert. Die Tagung NS-Bibliothekspolitik und -praxis in Europa schreibt sich in diesen Forschungsschwerpunkt ein. Ziel ist es, die Bibliothekslandschaft in den angeschlossenen und besetzten Gebieten im europäischen Vergleich zu beschreiben.
Ausgangspunkt der Tagung ist die Beobachtung, dass sich die Bibliothekslandschaften in Europa infolge der nationalsozialistischen Bibliothekspolitik wesentlich verändert hat. Zunächst wurde das Bibliothekswesen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland weitgehend umgekrempelt; neben Neubesetzungen und der politisch-ideologischen Umformung der Bibliotheken bestimmten das ›Generalreferat für das Bibliothekswesen‹ und der ›Reichsbeirat für Bibliotheksangelegenheiten‹ auch Veränderungen bezüglich des Ausbildungswesens, der Nutzungs-, Prüfungs- oder Katalogisierungsordnungen, wie etwa die Einführung des Deutschen Gesamtkatalogs. Vor allem aber wurden eine grundlegende Reform der Bestandspolitik und eine Aufteilung in unterschiedliche Kategorien von Bibliotheken mit je unterschiedlichen Aufgaben vorgenommen: wissenschaftliche Bibliotheken, ›Volksbüchereien‹ oder Schulbibliotheken. Wissenschaftliche Bibliotheken, also Staats-, Landes- und Universitätsbibliotheken, hatten aufgrund eines themen- und fächerübergreifenden Sammlungsauftrages eine weniger rigide Bestandspolitik als die ›Volksbüchereien‹, die zu einem zentralen Lenkungsinstrument der nationalsozialistischen Erziehungs-und Kulturpolitik wurden. Im Gegensatz zu den ›Volksbüchereien‹ blieben die wissenschaftlichen Bibliotheken von den ›Säuberungen‹ der zumeist lückenhaften Listen und Inventare des ›schädlichen und unerwünschten Schrifttums‹ weitgehend verschont, wenngleich der Zugang und die Benutzung wissenschaftlicher Bibliotheken eingeschränkt oder gesperrt wurden; auch unterschieden sich die Prozeduren je nach Bibliothek und Ort; sogar die Titelaufnahme im Hauptkatalog oder in Sonderkatalogen wurde in den verschiedenen Gauen unterschiedlich gehandhabt.
Während diese Veränderungen bereits ausführlich analysiert wurden, ist die Situation in den von NS-Deutschland angeschlossenen, besetzten und regierten Gebieten bislang weiterhin wenig erschlossen. So gibt es in den betreffenden europäischen Ländern nur vereinzelte Studien darüber, wie Bibliotheken aufgelöst, Bibliotheksbestände beschlagnahmt und skartiert oder neue Bibliotheksformen eingeführt wurden. Diese Prozesse der institutionellen Neuausrichtung sollen bei der Tagung konkret beschrieben und analysiert werden. Wie bereits in jüngsten Studien zur NS-Kulturpolitik in Europa vielfach nachgewiesen wurde, ist davon auszugehen, dass sich in den jeweiligen besetzten Staaten und in den Regionen unter NS-Herrschaft nicht zwingend eine einheitliche Praxis durchgesetzt wurde. So führten die Bibliothekspolitik und -entwicklung im „Dritten Reich“ keineswegs dazu, dass vergleichbare Neuerungen und Praktiken auf identische Weise in den besetzten Gebieten durchgeführt wurden. Tatschlich sind regional sehr unterschiedliche Handhabungen der NS-Buchpolitik in Bibliotheken zu beobachten.
Willkommen sind Beiträge aus den Bereichen Bibliotheksgeschichte, Buchgeschichte, Kulturpolitik- und -geschichte, Literatursoziologie, Architekturgeschichte u.a. Sie können folgende Themen(bereiche) behandeln, wobei quellen- und dokumentengesättigte Analysen bevorzugt werden:
- Länder- oder ortsspezifische Überblicke
- Institutionengeschichte
- Kulturpolitik und praktische Umsetzung
- Bestandsanalysen
- Beschlagnahmung und Aussonderung (auch von Privatbibliotheken)
- Biographien von Kulturfunktionären und Bibliotheksangestellten
- Neuanfänge und Kontinuitäten nach 1945
- Restitutionen nach 1945
Wir laden Sie ein, ein Abstract zu einem dreißigminütigen Vortrag auf Deutsch oder auf Englisch einzureichen:
- Arbeitstitel mit einem Abstract von 300 Wörtern
- Bio-bibliographische Informationen zum Verfasser
Abstracts sind bis zum 20. Dezember 2021 an folgende Adressen einzureichen direction@bnl.etat.lu und histoire-bibliotheque@bnl.etat.lu. Eine Benachrichtigung über die Teilnahme erfolgt bis zum 24 Januar 2022.
Die Tagungssprache ist Deutsch und Englisch. Die Vortragssprache ist den Vortragenden überlassen. Passivkenntnisse in der jeweiligen Sprache werden vorausgesetzt. Übersetzungen sind nicht vorgesehen. Zu jedem Vortrag sind 30 Minuten Diskussion vorgesehen. Reise- und Übernachtungskosten werden vom Veranstalter getragen.
Call for papers, deadline 20 December 2021 (in German)
Posted