Stefan Paul Werum: Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 26). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. ISBN 3-525-36902-6; 861 S.; EUR 49,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Ilko-Sascha Kowalczuk, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU)
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Unmittelbar nach Kriegsende setzten in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Bestrebungen ein, freie, unabhängige Gewerkschaft zu bilden. Diese Aktivitäten hatten ihren Ursprung in den Betrieben selbst, wurden aber von der Besatzungsmacht und deutschen politischen Kräften, vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten, unterstützt. Auch wenn relativ frühzeitig die unterschiedlichen Vorstellungen über die künftige Gewerkschaftsarbeit und -politik sichtbar wurden, dauerte es mehrere Jahre, bis die Einheitsgewerkschaft der kommunistischen Partei als nahezu willenloser Transmissionsriemen diente. Wie schon andere neuere Forschungsarbeiten zur Geschichte des FDGB zeigten, analysiert auch Stefan Paul Werum in seiner Dissertation, die dem Buch zugrunde liegt, die Zeit bis etwa 1952 als Transformationsphase, an deren Ende der FDGB weitgehend im Herrschaftsgefüge der SED integriert war. Nachdem die ersten Jahre bis etwa 1947 eine relativ offene Phase darstellten, in der verschiedenen Entwicklungsalternativen für Gewerkschaften in der SBZ zu existieren schienen, sind ab 1947/48 auch die Gewerkschaften zu einem Herrschaftselement der Kommunisten umgeformt worden. Dass diese Entwicklung nicht linear und widerspruchslos verlief, ist in der Forschung schon mehrfach nachgewiesen worden. Zugleich ist aufgezeigt worden, dass die Entwicklung in der Perspektive der Herrschenden dennoch relativ schnell erfolgreich verlief, was nicht zuletzt die Haltung des FDGB zum 1952 proklamierten Sozialismusaufbau mit seinen weit reichenden sozialen Folgen und schließlich seine prinzipiell herrschaftsstabilisierende Funktion im Juni 1953 belegt. Allerdings kam aus dem FDGB, insbesondere aus seinen unteren Funktionsebenen, auch über die frühen 1950er Jahre hinaus immer wieder Widerspruch zu einzelnen sozialen und innerbetrieblichen Erscheinungen, der durchaus Erfolge zeitigte. Bis zuletzt hatten die Herrschenden im Arbeiter- und Bauern-Staat die größte Angst vor „ihren“ Arbeitern, weshalb Zugeständnisse dieser sozialen Gruppe gegenüber nicht selten waren. Der FDGB freilich war nie mehr Interessensvertreter seiner Millionen Mitglieder, sondern blieb stets Instrument der Herrschenden.
Stefan Paul Werum untersucht in seinem Buch nun die wohl interessanteste Zeit in der FDGB-Geschichte, die mehrjährige Phase zwischen Bildung der freien Gewerkschaften und der Etablierung des FDGB als „Transmissionsriemen der Partei“. Angelegt als Organisationsgeschichte analysiert der Autor die Gewerkschaftsgeschichte zwischen 1945 und 1952 detail-liert, wobei für die erste Phase vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Betriebsrätebewegung und Gewerkschaften im Zentrum steht. Neben den von der Besatzungsmacht gesetzten Rahmenbedingungen konzentriert sich Werum außerdem auf die Entwicklung der gewerkschaftlichen Programmatik, die innere Organisierung des FDGB und schließlich die Etablierung der Betriebsgewerkschaftsleitungen, die die Auflösung der Betriebsräte 1948 zur Voraussetzung hatte.
Das Buch stellt keine leichte Kost dar. Das hängt nicht nur mit dem voluminösen Umfang zusammen. Der Autor weist in seinem Vorwort darauf hin, dass der Buchtext einschließlich des ohnehin ausufernden Anmerkungsapparates im Gegensatz zur Dissertation noch gekürzt worden sei, was man kaum glauben mag. Denn es scheint so, als würde dem Autor kein Detail entgangen sein und als hätte er sich dann nicht dazu durchringen können, seiner Leserschaft wenigstens das eine oder andere vorzuenthalten. So muss man sich durch einen beeindruckenden Materialberg arbeiten, den der Autor zwar strukturierte, ohne aber sich und seiner Leserschaft Fragestellungen, die über positivistisches Beschreiben hinausgingen, mit auf den Weg zu geben. Er selbst nennt dieses Verfahren „analytische Deskription“ (S. 25). Methodisch etwas unbedarft, schreibt der Autor dazu: „Die vorliegende Studie beruht auf einem nahezu ausschließlichen Studium der archivarischen Überlieferungen des FDGB, die hiermit erstmals einem öffentlichen Publikum zugänglich gemacht werden.“ (ebd.) Abgesehen einmal davon, dass es ein „nichtöffentliches Publikum“ schon vom Wortsinn her nicht geben kann, bezeugt doch diese Einlassung, dass die Arbeit von Stefan Paul Werum nicht unbedingt zum Ziel hat, an der geschichtswissenschaftlichen Theorie- und Methodendebatte teilzunehmen und der Autor wohl die Grundlagen dieser Debatte auch nur entfernt wahrgenommen hat. Dazu passt dann auch, dass er es ausdrücklich unterlässt, eine „theoretische Verortung des FDGB im Gesellschaftsgefüge der SBZ/DDR“ (ebd.) vorzunehmen oder auch nur anzustreben. Seine Begründung dafür ist weder überzeugend noch nachvollziehbar: Eine solche Verortung könne nur „von vorschneller und kaum verallgemeinerungswürdiger Natur sein“, weil es noch zu viele „weiße Flecken“ gibt (S. ebd.). Wenn man diese Behauptung umkehrt, würde erkenntnistheoretisch die Aussage entstehen, dass eine „theoretische Verortung“ von was auch immer in größeren Zusammenhängen stets unmöglich sei, weil ja Vergangenheit vor allem aus „weißen Flecken“ besteht und Geschichte Vergangenheit immer nur sehr beschränkt und selektiv zu erfassen in der Lage ist.
Der Autor kann so zwar die innere Entwicklung des FDGB in seiner Frühphase en detail nachzeichnen, ist jedoch nicht in der Lage, die Organisationsgeschichte wenigstens ansatz-weise mit gesellschaftsgeschichtlichen Fragestellungen oder Problemhorizonten zu verknüpfen. Auch wenn man gewiss von einer Arbeit nicht erwarten kann, was sie gar nicht ver-spricht, wird doch die besondere Bedeutung einer Gewerkschaft, zumal in einer Diktatur, erst sichtbar, wenn Ansprüche und Realität, wenn Gewerkschaftsführung und Gewerkschaftsbasis, wenn Gewerkschaftspolitik und Begehrlichkeiten von Arbeitern und Angestellten zueinander in ein Spannungsverhältnis gesetzt werden. Ganz am Schluss der Arbeit äußert der Autor sich zwar auf wenigen Seiten zu einigen dieser Aspekte, mehr als eine Skizze – mehr beabsichtigte er auch nicht – kam dabei aber nicht heraus. Insofern bietet diese Arbeit genügend Anknüp-fungspunkte für weitergehende Studien. Inwiefern Werums Monographie in künftigen Forschungen eine wichtige Rolle spielen wird, bleibt abzuwarten. Einer breiten Rezipierung steht nicht nur der ausufernde Stil entgegen, auch die Erschließungsmöglichkeiten der Studie sind bescheiden, da an ihrem Ende lediglich ein kurzes Personenregister erscheint. Mit einem Institutionen-, Orts- und Sachregister hätte Werum seinem Werk den Charakter eines Nach-schlagewerkes verleihen können und die Benutzerfreundlichkeit erheblich erhöht. So bleibt es seinen Lesern auch künftig vorbehalten, sich durch einen Materialberg zu wühlen, der nun nicht mehr im Archiv auf ihn wartet, sondern strukturiert zwischen zwei Buchdeckel gepresst wurde. Gewerkschaftsforscher werden es dem Autor danken, ob damit aber schon der Sinn historischer Forschungen umschrieben ist, müsste bei Gelegenheit einmal diskutiert werden.
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