Ort: Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Datum: 23./24. November 2023
Deadline für die Einreichung der Abstracts: 10. Februar 2023
Veranstaltet von: Arbeitskreis Gewerkschaftsgeschichte im Kooperationsprojekt „Jüngere und jüngste Gewerkschaftsgeschichte“ der Hans-Böckler-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung, Organisationsteam: Mareen Heying (Düsseldorf), Nina Kleinöder (Bamberg), Sebastian Knoll-Jung (Neustadt/Weinstr.), Sebastian Voigt (München)
Gewalt am Arbeitsplatz war und ist allgegenwärtig. Sie findet meist hinter verschlossenen Fabriktoren oder Bürotüren statt, ist öffentlich selten sichtbar und wird zudem oft tabuisiert. In der geschichtswissenschaftlichen Forschung spielt Gewalt am Arbeitsplatz im Gegensatz zu anderen Formen der Gewaltausübung bisher nur eine untergeordnete Rolle. Mittlerweile gut erforscht sind Themenkomplexe zu politischer Gewalt, zu staatlicher Gewaltausübung, zur Gewalt gegen Minderheiten und im öffentlichen Raum sowie in Bildungseinrichtungen und Heimen. Bezüglich der Arbeitswelt besteht in der deutschsprachigen Forschung hingegen nach wie vor eine Lücke. Das verwundert insofern, als ein großer Anteil von Gewaltphänomenen genau dort hervortritt: Reibungen und Konflikte, auch und gerade aus Konkurrenzsituationen heraus, Rollendruck in homosozialen Kolleg:innenkreisen sowie hierarchische Strukturen und materielle Abhängigkeiten fördern ein konfliktträchtiges Klima. In der Arbeitsgeschichtsschreibung und der Alltagsgeschichte wurde die Thematik jedoch bislang lediglich gestreift.
Die Tagung greift dieses Desiderat auf und fragt nach Formen von Gewalt am Arbeitsplatz. Mit welchen theoretischen Konzepten ist sie fassbar? Welche Akteur:innen und Akteursgruppen können identifiziert werden? Ist der Wandel und die Dynamik der Gewaltausübung erkennbar? Dabei soll der Fokus auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum gelegt werden. Transnationale und zeitliche übergreifende
Bezüge sind willkommen. Die Tagung fragt insbesondere nach Erkenntnispotentialen für die Gewerkschaftsgeschichte und die Geschichte der Arbeitswelten.
Die Tagung möchte sich insbesondere, aber nicht ausschließlich, folgenden Themenfeldern zuwenden:
1. Gewalt innerhalb von Betrieben und Arbeitsverhältnissen
Die innerhalb von Betrieben auftretende Gewalt gliedert sich in Konflikte mit Kolleg:innen oder über hierarchische Ebenen mit Vorgesetzten. Häufig richten sich Wut und Aggression zuerst gegen Gegenstände, sie können auch auf andere Menschen übergreifen und beispielsweise in Form von Mobbing auftreten. Welche Ursachen für Gewaltausbrüche, die von Frustration, Schmerzreaktionen, Alkoholkonsum bis zu Lohnstreitigkeiten und Arbeitsbedingungen reichten, lassen sich ausmachen? Welchen Einfluss hatten Hierarchisierungen und Managementsysteme? Welchen Umgang fanden Gewerkschaften mit der Problematik, gerade angesichts des Leitbildes der Solidarität?
2. Gewalt gegen Arbeiter:innen und Angestellte von außen
Eine weitere Form der Gewalt am Arbeitsplatz kann Arbeiter:innen und Angestellte von Außenstehenden treffen. Dies können Kund:innen, Passant:innen oder auch Patient:innen sein. Gewalt gegen Rettungskräfte oder Pflegepersonal sind öffentlich thematisierte Problemfelder, die angesichts der Corona-Pandemie erneut an Aktualität gewinnen. Welche Branchen waren hier besonders betroffen und warum? Wie wurde Gewalt am Arbeitsplatz bei Berufen verhandelt, die Gewalt als ein alltägliches und (il)legitimes Arbeitsmittel nutzten? Welches Gewaltverständnis hatten die hier Tätigen, wie veränderte sich der Blick der Arbeitenden auf Gewalt durch die alltägliche Auseinandersetzung mit ihr?
3. Sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz
Von übergriffigen Kommentaren bis zu gezielten körperlichen Übergriffen existieren verschiedene Formen der sexualisierten Gewalt, die auch am Arbeitsplatz stattfindet. Welche unterschiedliche Opfer- und Täter-Konstellationen waren möglich, etwa zwischen Geschlechtern und betrieblichen Hierarchien? Wie prägten Tabuisierungen diese Gewaltformen und welche Unterstützungsressourcen standen den Betroffenen zur Verfügung? Welche Hürden durch in der Regel männlich dominierten Gewerkschaften bestanden? Wie kann Gewalt in reproduktiven Berufen ohne gewerkschaftliche Vertretung, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, historisch untersucht werden?
4. Rassismus und Gewalt am Arbeitsplatz
Frauen, migrantische Arbeiter:innen, Ältere und Menschen mit Behinderungen sind Verletzungen auf vielfältige Arten ausgesetzt. In diesen sozialen Differenzkategorien liegt
großes Konfliktpotential, das sich am Arbeitsplatz entfaltet, insbesondere, wenn starke Macht- und Dominanzverhältnisse zwischen den verschiedenen Beschäftigtengruppen und Formen von Arbeit bestehen. In welchen Formen fanden Diskriminierungen, Rassismus und Sexismus im Betrieb statt? Welche Rolle spielten Schweige- und Verdrängungsmechanismen sowie Bewältigungsstrategien und welche Rollen nahmen und nehmen Gewerkschaften hier ein?
5. Arbeiter:innenbewegung zu Gewalt am Arbeitsplatz
Die Arbeiter:innenbewegung widmet sich Themen wie Gewalterfahrungen in Streiks und im politischen Kampf. Im Gegensatz zu politischer Gewalt wird die betriebliche „Alltagsgewalt“ sehr ambivalent behandelt. Häufig passten weder Opfer noch Täter der Gewalt in den Betrieben in das Selbst- und Fremdbild der Arbeiter:innenbewegung. Wie wirkte sich dies auf die gesellschaftliche Wahrnehmung des Phänomens aus, erfolgte hier eine kollektive Verdrängung? So stellen sich auch Fragen nach den Erklärungsansätzen von Gewerkschaften für die verschiedenen Formen von Gewalt am Arbeitsplatz: Wann und wie wurden sie adressiert? Wurde die Schuld allein dem Konkurrenzdruck des kapitalistischen Systems zugeschoben und wie war die Gewalt unter Lohnabhängigen mit dem Konzept der Arbeiter-Solidarität vereinbar? Inwieweit wollten und konnten Gewerkschaften befriedend wirken?
Bitte senden Sie ein Abstract mit maximal 2.000 Zeichen, inkl. Leerzeichen, wie auch eine kurze biographische Notiz (max. eine halbe Seite) bis zum 10. Februar 2023 an: voigt@ifz-muenchen.de und nina.kleinoeder@uni-bamberg.de
Zu- oder Absagen werden bis Anfang April 2023 versendet.
Die Tagung wird vom Kooperationsprojekt „Jüngere und jüngste Gewerkschaftsgeschichte“ der Hans-Böckler-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet. Reisekosten und Unterkunftskosten für Vortragende werden durch die Hans-Böckler-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung getragen.
Eine Publikation zum Themenfeld der Tagung ist angedacht.