Pressekommuniqué zu den Sitzungen des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation aus Finnland am 23.-24. Mai 1917, 25. Mai 1917

P/19c
ARAB, Holländsk-skandinaviska kommittén, Box 1. Hekt., 3 S.1

   Das holländisch-skandinavische Komitee hat Mittwoch und
Donnerstag 23. und 24. Mai 1917, die finnländische2 Delegation,
welche aus den Genossen Yrjö Sirola und Karl Wiik
besteht, empfangen.

   Diese Vertreter des finnländischen Parteivorstandes und
der finnländischen sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, trugen ihre
Auffassung vor ueber die Art und Weise, die rechtliche Stellung Finnlands am
besten zu ordnen. Nach ihrer Meinung wird diese Auffassung von den politisch
gereiften Elementen unter den Finnländern geteilt. Dieser Auffassung
gemäss muesse die erwähnte Frage als eine Frage
völkerrechtlicher Natur betrachtet werden und ihre Behandlung da finden,
wo internationale Probleme ueberhaupt besprochen werden, u.a. also auf dem
kommenden Friedenskongresse.

   Diese Forderung ist durch die schutzlose Lage motiviert, worin
sich Finnland befinden wuerde, wenn in der Zukunft nationalistische oder sogar
imperialistische Strömungen in Russland die Oberhand bekommen sollten. Die
Dankbarkeit, welche das finnländische Volk den revolutionären
Elementen in Russland schuldet, als denjenigen, durch welche auch Finnland von
dem Zarentum und den reaktionären Elemente[n] der russischen Reichsduma
befreit worden ist, kann durchaus nicht das finnländische Volk der Pflicht
ueberheben, seine eigene Zukunft auf dem festesten Grunde zu sichern. Die
Stellung Finnlands muss auf einem Grunde, der Finnland die volle
Möglichkeit einer freien Entwickelung garantiert, gebaut werden, und das
finnländische Volk hegt die innige Hoffnung, dass die russische Demokratie
diese Forderung anerkennen wird und durchsetzen kann, dass von russischer Seite
der Verwirklichung der finnländischen Forderungen keine Hindernisse
begegnen werden.

   Die autonome Stellung Finnlands hat bisher, allen Mängeln
zum Trotz, eine beträchtliche kulturelle Entwickelung des Landes
ermöglicht. Der grösste dieser Mängel war, dass die Entscheidung
ueber fin[n]ländische Angelegenheiten in Petrograd lag.

   Dadurch ist es geschehen, dass den Interessen des
finn]ändischen Volkes entgegengesetzte Interessen die Entscheidung
finnländischer Fragen beeinflusst haben. Eine solche Ordnung hat bisweilen
zu einer ruecksichtslosen Vernachlässigung der Interessen des
finnländischen Volkes gefuehrt und muss auf jeden Fall von einem
nationalen Selbstbewusstsein wie demjenigen des finnländischen Volkes als
eine Demuetigung gefuehlt werden. Die Bestrebungen Finnlands zu einem
grösseren Selbstbestimungsrechte sind durch seine ganze geschichtliche
Entwickelung, die derjenigen Russlands niemals ähnlich war, motiviert.

   Die Gesellschaftsordnung Finnlands, seine Gesetze, seine
Kulturform, Sprache u.s.w., sind auch demjenigen des russischen Volkes so
unähnlich. Infolgedessen strebt das finnländische Volk nach der
Eroberung der möglichst grossen Selbstständigkeit, die verwirklicht
und befriedigend gesichert werden kann.3

   Die Träger der russischen Revolution haben die Freiheit
der Völker auf ihre Fahne geschrieben. Dieser Umstand hat in dem
finnländischen Volke die Ueberzeugung gestärkt, dass der Zeitpunkt
jetzt da ist den Wunsch des finnländischen Volkes nach völliger
Unabhängigkeit zu verwirklichen, was als die einzig zuverlässige
Weise die nationalen Forderungen des finnländischen Volkes zu
befördern und die Konflikte zu vermeiden, die einer fortdauernden
Vereinbarung mit Russland entspringen könnten aufgefasst wird.

   Die Sozialdemokraten Finnlands huldigen vollständig dem
von der internationalen Socialdemokratie behaupteten Grundsatze von dem
Selbstbestimmungsrechte aller Völker und fordern, dass auch das
finnländische Volk ueber seine Stellung selbst entscheiden darf.

   Sie appellieren an ihre Genossen in den andern Ländern und
hoffen, dass diese, die den Bestrebungen des finnländischen Proletariats
so oft ihre Sympathien ausgesprochen haben, auch jetzt denselben ihre volle
Unterstuetzung geben werden.

   Hinsichtlich der uebrigen politischen Fragen, hat sich die
Delegation, da sie in dieser Hinsicht noch kein Mandat erhalten hat, darauf
beschränkt, ihre persönliche Meinung auszusprechen, und sie wird
später die Stellungnahme der Partei schriftlich oder muendlich mitteilen.
Die sozialdemokratische Partei Finnlands hat sich selbstverständlich
zugunsten einer allgemeinen Konferenz erklärt.

Anmerkungen

1   Hschr. Konzepte von Huysmans (franz.) und Engberg (deutsch),
mschr. und hekt. Versionen auf deutsch, franz., engl. und schwed., z.T. mit
hschr. Verbesserungen, auch in CHA, Stockholm, N. & C, Mai 1917:2; hekt.,
deutsch und hekt, franz in IISG, Collection Deuxième
Internationale, 231; schwed. Social-Demokraten 26.5.1917, S. 1.

2   Finländisch und Finnland wird im Text mehrfach auf
schwedische Art mit einem "n" geschrieben. Das ist hier vereinheitlichend
verbessert worden.

3   Nina Bang war nach einem Bericht von Alsing Andersen,
29.5.1917, in ABA, SDF, 531, nach der Vorkonferenz und einer Konfrontation mit
Troelstra "schlechter Laune" ("i daarligt Humør"). Es ging um die
Ausführlichkeit der Kommuniqués. Nina Bang beschwerte sich
darüber, "daß man nicht vorsichtig genug war" ("at man ikke var
forsiktig nok"). In Übereinstimmung mit Stauning habe sie von
ausführlichen Kommuniqués abgeraten. Huysmans habe eine andere
Auffassung gehabt. Jetzt werde im finnischen Memorandum die Unabhängigkeit
Finnlands gefordert. - Die Selbständigkeit Finnlands wurde in den
Memoranden der Österreicher (nachgewiesen in Dok. Nr. P/21, Anm. 1), der
MSPD (siehe Dok. Nr. P/27d) und der kroatisch-slawonischen Delegation (siehe
Dok. Nr. P/64, Anm. 3) unterstützt. Siehe auch Gummerus 1927, S. 337f. Die
tschechische Delegation (Memorandum nachgewiesen in Dok. Nr. P/45a, Anm. 3) und
die serbische Delegation (Memorandum nachgewiesen in Dok. Nr. P/75, Anm. 1)
traten für Autonomie innerhalb einer russisch-finnischen Föderation
ein. Ebenso ("autonome Einheit eingefügt in die Wirtschafts- und
Verkehrseinheit Russland") im slowenischen Memorandum (mschr., deutsch) von
Henrik Tuma, das dem Komitee nicht zugestellt wurde, jedenfalls im Material zu
"Stockholm" nicht vorhanden ist, nach einer Kopie aus dem Nachlaß Tuma
(Akademie der Wissenschaften in Nova Gorica), die freundlicherweise von Prof.
Franc Rozman (Ljubljana) zur Verfügung gestellt wurde, in IISG. Die USPD
beurteilte die finnische Frage als eine der inneren Politik Dok. P/18a, Anm. 9,
und Nr. P/44b.