Sitzung der MSPD-Delegation in Stockholm, 5. Juni 1917

P/27d
BA Berlin, NL Hermann Müller, 186, 5-6. Mschr., 2 S.1

Sitzung vom 5. Juni 1917.

   E b e r t  begrüsst die finnischen Delegierten W i e k [Wiik] und S i r o l a und teilt mit, dass die Delegation das finnische Memorandum bereits gelesen habe.2 Aber sie würde gerne noch persönliche Informationen entgegennehmen, da sie in den nächsten Tagen den Fragebogen beantworten würde.3

   W i e k [Wiik]:4 Es wäre uns allerdings sehr angenehm, wenn auch die Deutschen, wie die Oesterreicher, sich über Finnland aussprechen würden.5 Bei den allgemeinen Friedensbestrebungen wird eine Gelegenheit sein, für Finnlands Selbständigkeit Feststellungen zu treffen.6 Auf Anfrage teilt dann Wiek [Wiik] Folgendes mit: Die Bolschewiki sind ganz auf unserer Seite.7 Sie sind für die Selbständigkeit Finnlands. Sie wollen nur ein freies Band zwischen Finnland und Russland anerkennen; alles übrige sei Imperialismus. Die Menschewiki hatten weniger Verständnis für diese Frage. Wenn aber die Finnen die Selbständigkeit fordern, dann würden sie wohl keinen Widerstand leisten. Plechanoff hält die Selbständigkeit jetzt für ganz unmöglich, da sie die Schwierigkeiten der derzeitigen russischen Regierung vermehren würde. Die Frage sollte nach dem Frieden besprochen werden. Die finnische Partei hat hierüber zwar in letzter Zeit keinen Parteitag abgehalten, aber in ihr bestehen keine Differenzen. Mit den Trudowiki ist nicht direkt verhandelt worden; sie haben schöne Reden für uns, sie haben aber auch der Selbständigkeit keine bestimmten Forderungen entgegengesetzt. Mit Kerenski ist in Helsingfors hierüber geredet worden. Unsere Forderung ihm gegenüber war, dass wir unsere inneren Angelegenheiten in Finnland selbständig ordnen wollen. Kerenski war aber damit nicht einverstanden, dass unsere Selbständigkeit international garantiert werden sollte.8 Zurzeit schweben noch Verhandlungen mit der russischen Regierung wegen der Autonomiefrage. Die russische und die schwedische Bevölkerung haben bei uns schon eigene Schulen auf Staatskosten.

   Auf Anfrage teilt Wiek [Wiik] weiter mit: Die Bolschewiki hätten erklärt, dass sie an einer vom Haager Büro einberufenen Konferenz nicht teilnehmen würden. Die Menschewiki würden teilnehmen. Wiek [Wiik] hält als das Natürliche für Russland die Bildung einer föderativen Republik. Den Finnländern ist der Gedanke, eine föderative Republik mit den anderen zu bilden, ganz fremd.

   Wiek [Wiik] bedankt sich für die übergebenen Broschüren über "Die Tätigkeit der Sozialdemokratie in der Friedensfrage";9 sie hätten während des Krieges fast nichts aus Deutschland bekomen.

   D a v i d  gibt sodann die Dispositionen seines Vortrages mit der einleitenden Erklärung bekannt.10 Baake nimmt Davids Ausführungen stenographisch auf.

Anmerkungen

1   Dokument (12 Seiten) überschrieben Protokoll der Sitzungen der Stockholmer Delegation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, das Sitzungen am 4., 5., 6., 9., 11. und 13.6.1917 wiedergibt. Zu dieser Besprechung auch David 1966, S. 232; Scheidemann 1921, S. 132.

2   Siehe Dok. Nr. P/19c.

3   Behandlung auf der Sitzung der MSPD-Delegation am 6.6.1917, Dok. Nr. P/28c, und im Holländisch-skandinavischen Komitee am 7.6., 11.-13.6.1917, Dok. Nr. P/29 und Nr. P/32-34.

4   Zur Sitzung mit der MSPD auch kurzer Kommentar in Wiiks Tagebuch, Abschrift, S. 31, ARAB, Kopiesamling, Box 15. Wiik notiert u.a.: "Einen Standpunkt äusserten sie damals nicht" ("Någon ståndpunkt uttalade de icke då"). Er nennt auch eine weitere Kontaktaufnahme mit der MSPD, ein Gespräch "an einem Abend" mit Sassenbach. Sirola erwähnt in seinem Bericht über die Tätigkeit in Stockholm, ebd. S. 62f., Eintragung am 25.10.1917, weitere Kontakte - ein Gespräch mit Scheidemann ohne Ergebnis ("ej mycket resultat") und mit David, der für Finnland eine Armee befürwortete ("förordade för Finland armé") sowie Übermittlung von Artikeln an den Korrespondenten des Vorwärts in Stockholm. Im Tagebuch von David wird ein Treffen mit Sirola am 20.6.1917 erwähnt, David 1966, S. 236. - Siehe auch Gummerus 1927, S. 337f.

5   Im Memorandum der MSPD wurde das Selbstbestimmungsrecht für Finnland gefordert, Dok. Nr. P/32a mit Anm. 6 und Nr. P/32c. Ebenso im österreichischen Memorandum ("das volle Selbstbestimmungsrecht"), nachgewiesen in Dok. Nr. P/21, Anm. 1. Im Siehe auch Nachweise in Dok. Nr. P/18a, Anm. 2, und Dok. Nr. P/19d, Anm. 4.

6   Zu den Vorkonferenzen mit der finnischen Delegation Dok. Nr. P/18a-c und Dok. Nr. P/19a-d.

7   Zur Stellung der russischen Sozialdemokraten siehe auch Nachweise Dok. Nr. P/18a, Anm. 2, 7 und 9, und Dok. Nr. P/19a, Anm. 9.

8   Zu Kerenskijs Besuch in Helsinki Ende März 1917 Upton 1980. S. 32f., 37.

9   Nachweis Dok. Nr. P/27a, Anm. 14.

10   Nach Scheidemann 1921, S. 132, war der Auftrag "rücksichtslos [...] gegen die Ausführungen van Kols und Brantings loszugehen". David arbeitete am Nachmittag des 4.6. und am Vormittag des 5.6. an seiner Rede. Er wurde dann in der Delegation "examiniert". Kürzungen wurden veranlaßt, "durch die die Rede gewinnen müßte". - Zur Sitzung im Holländisch-skandinavischen Komitee und der Rede Davids siehe Dok. Nr. P/28a-b.