Sitzungen des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation aus Bulgarien, 21. und 22. Mai 1917

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CHA, Stockholm, N. & C., Mai 1917:2. Hekt., 1 S.1

COMMUNIQUÉ A LA
PRESSE
.        
                       
             
23 mai.

   Das permanente holländisch-skandinavische Komité
hatte Montag und Dienstag, 21 und 22 mai, gemeinsame Beratungen mit der
Delegation der bulgarischen sozialdemokratischen
Partei
.2

   Als Zentralpunkt dieser Beratungen erwies sich das
Balkanproblem und speziell die mazedonische
Frage
.3

   Die Delegation hat sich fuer die nationale Einigung aller
Theile des bulgarischen Volkes ausgesprochen,4 womit eine
Stabilität und dauernde Beruhigung auf dem Balkan geschaffen wird. Auf
dieser Grundlage wird auch eine Annäherung der Balkanvölker
möglich sein.

   Die Delegation fordert die Wiederherstellung Belgiens,
Serbiens,5 Rumäniens und Montenegros.

   Die Delegation besteht darauf, dass das Prinzip der Autonomie
und des nationalen Selbstbestimmungsrechts auf alle Völker angewendet
werde welche darnach streben ihre Schicksale selbst zu bestimmen, wie Armenien,
Polen, etc.6

   Die Delegation hofft auch, dass die Elsass-Lothringische Frage
auf Grund dieser Prinzipien und der in der letzten Zeit bekannt gewordenen
Aeusserungen der deutschen Sozialdemokratie befriedigend gelöst werden
kann.7

   Die Delegation fordert dringend die Herbeifuehrung eines
sofortigen Friedens und deshalb empfie[h]lt sie vereinbarte und energische
Aktionen in den Parlamenten aller kriegfuehrenden Länder vorzunehmen.

   Als Hauptmittel diesen Frieden dauerhaft zu machen empfie[h]lt
die Delegation völlige Demokratisierung Europas, - Abruestung, -
Schiedsgerichte, - Schaffung einer internationalen Rechtsordnung mit
Zwangsmitteln und dergleichen.

   Die Delegation billigt die Einberufung einer allgemeinen
sozialistischen Konferenz unter Theilname aller der Internationale
angeschlossenen Parteien, fuer die Erzwingung des Friedens.

   Die Delegation drueckt ihre Freude aus ueber die endliche
Wiederherstellung der Internationale und die Wiederaufnahme ihrer
geschichtlichen Rolle.8

Anmerkungen

1   Dort auch Version auf deutsch mit hschr. Ergänzungen und
Verbesserungen und Exemplar auf franz.; auch in ARAB,
Holländsk-skandinaviska kommittén, Box 1 (deutsch); IISG, NL
Troelstra, 433; IISG, Collection Deuxième Internationale, 226 (hekt.,
franz.) und 227 (hekt., franz, nach Vorwärts 25.5.1917); schwed.
Social-Demokraten 24.5.1917, S. 1. Siehe auch Bericht von Huysmans für De
Belgische Socialist/Le Socialiste Belge (hschr. Manuskript), 24.5.1917, in CHA,
Stockholm, Corr., Mai 1917, Nr. 129; Berichte von Oscar Bam, 25.5. und
26.5.1917, in PA, AA, WK Nr. 2 c, Bd. 1, S. 27-41; abgedruckt bei Lademacher
1967/1, S. 507-517. - Zu den Sitzungen und zur bulgarischen Delegation Leon
1976, S. 44f.; Wanner 1983, S. 469f.; Kanewa-Damjanowa 1988, S. 113f. - Die
Bulgaren waren nach einem Bericht von Alsing Andersen, 29.5.1917, in ABA, SDF
531, dagegen, "daß so ausführliche Mitteilungen veröffentlicht
würden" ("at der offentliggjordes saa udførlige Medelelser"). Nach
Sakasov würden "gleichsam eine Reihe von Regierungserklärungen"
("ligsom en Række Regeringskrav") von Seiten der Stockholmer Konferenz
ausgesandt.

2   Eine bulgarische Delegation von fünf Personen wurde am
27.4.1917 angekündigt, Telegramm aus Sofia, in CHA, Dossiers, I 632 B. Die
Delegation bestand aus: Janko Sakasov, Nikola Sakarov, Alexander Zankov,
Krastju Pastuchov, Georgi Janulov und P. Djidrov. - Auf dem Weg nach Stockholm
machte die bulgarische Delegation Station in Berlin zu Gesprächen mit der
MSPD und der Generalkommission, siehe Vorwärts 7.5.1917, S. 2, und schwed.
Social-Demokraten 9.5.1917, S. 4. Sie reiste weiter über Kopenhagen; ihre
erwartete Ankunft wurde von Ebert in einem Telegramm an Stauning am 13.5.
gemeldet, ABA, SDF, 528. Zum Besuch in Kopenhagen (13.-15.5.) dän.
Social-Demokraten 14.5.1917, S. 3 (u.a. Interview mit Sakasov); 15.5, S. 4, und
16.5., S. 2. Sakasov erklärte u.a., daß man gerade beschlossen
hätte, eine Delegation in die neutralen Länder zu schicken, um eine
Konferenz zu initiieren, als die Pläne der Stockholmer Konferenz
mitgeteilt wurden. - Nach ihrem Aufenthalt in Kopenhagen kamen
die Delegierten am 16.5.1917 nach Stockholm; ihre Ankunft kündigte
Stauning in einem Telegramm an Möller am 14.5. an, in CHA, Dossiers, I 632
B. In Stockholm angekommen sprach Sakasov auf der Veranstaltung zur
Begrüßung der heimkehrenden russischen Emigranten am 16.5., siehe
Nachweis Dok. Nr. P/14, Anm. 2. Er begrüßte die Einladung zur
Friedenskonferenz, betonte aber, die Hoffnung auf einen baldigen Frieden gehe
von der russischen Revolution aus. Die Bulgaren wollten in Stockholm mithelfen,
Frieden zu schaffen. Siehe auch Interview mit Sakasov in Aftonbladet
(Stockholm) 21.5.1917, S. 5. - Zur ersten Sitzung lud Huysmans am 20.5.1917
ein, in CHA, Dossiers, I 632 B. Diese Sitzung unter dem Vorsitz Brantings
dauerte nach dem angeführten Bericht von Bam vom 25.5., nachgewiesen oben
in Anm. 1, dreieinhalb Stunden.

3   Bei ihrer Abreise am 3.5.1917 erklärte die bulgarische
Delegation, daß das Recht Bulgariens auf Mazedonien, die Dobrudscha und
andere von Bulgaren besiedelte Gebiete anerkannt werden müsse; siehe
Rothschild 1959, S. 71f., und Leon 1976, S. 44. Hinsichtlich dieser Gebiete
erklärte Sakasov in einem Interview in Aftonbladet (Stockholm) 21.5.1917,
S. 5, und in Dagens Nyheter 24.5.1917, S. 1, daß Deutschland uns
Mazedonien versprochen habe und daß wir es auch erhalten
müßten. Die Rückgewinnung von Mazedonien und der Dobrudscha sei
keine Annexion, sondern bedeute Frieden und würde kommende Kriege
vermeiden. Die MSPD habe in Gesprächen die gleiche Auffassung vertreten.
Diese Forderungen werden dann auch im Memorandum vorgetragen, in CHA,
Stockholm, N. & C., Juni 1917:1 (mschr. franz; hekt. deutsch); IISG, NL
Troelstra, 429; IISG, Collection Deuxième Internationale, 228;
abgedruckt in Stockholm 1918, S. 198-216. Daß Mazedonien der springende
Punkt sei, hielt Huysmans in seinem oben in Anm. 1 nachgewiesenen Bericht fest.
Ihm habe dagegen die spontane Zustimmung zur Wiederherstellung Belgiens
große Freude gemacht. - Nach Wanner 1983, S. 470, habe Czernin die
bulgarische Delegation zu großen Gebietsforderungen bewegen wollen, um
die Konferenz scheitern zu lassen. Dies sei jedoch nicht erreicht worden, da
die Bulgaren u.a. versichertern, sie würden "mit sich reden lassen". Leon
1976, S. 45, schreibt dies dem mäßigenden Einfluß von Sakasov
zu. - Nach dem Bericht von Bam, 25.5.1917, nachgewiesen oben in Anm. 1, habe
das Komitee den bulgarischen territorialen Forderungen "nur in der Frage
Mazedoniens und jener der bulgarischen Dobrudscha" zugestimmt. - Die
bulgarischen territorialen Forderungen wurden sofort kritisiert und diskutiert,
siehe z.B. schwed. Social-Demokraten 4.6.1917, S. 1, und 6.6., S. 5. (Kritik
von Rakovski); Hermann Wendel in Internationale Korrespondenz (IK) Nr. 23,
27.6.1917, S. 167f., und in Nr. 31, 27.7., S. 229f., sowie in Vorwärts
2.7., 26.7., S. 1f. und 4.9.1917, S. 1f. - dort 8.7., S. 1f., und 12.8., S. 1f.
auch Entgegnungen des bulgarischen Gesandten in Berlin D. Rizoff; Heinrich
Cunow in Internationale Korrespondenz (IK), Nr. 27, 11.7., S. 197f.; Christian
Rakovski, Die Sozialdemokratie des Balkans und der Friede, in Leipziger
Volkszeitung 21.7.1917; Interview Sakasov in Berlin in Internationale
Korrespondenz (IK) Nr. 23, 27.6.1917, S. 165-167 (gez. E. H. = Ernst Heilmann);
Sakasov ebd. Nr. 27, 27.7., S. 199f. (Antwort an Wendel); Sakasov ebd. Nr. 36,
16.8., S. 270f. (Antwort an Rakovski, die die Leipziger Volkszeitung nicht
aufnehmen wollte). Siehe weiter die Diskussionen im September, Oktober und
November und Anfang 1918 nach der Veröffentlichung des Friedensprogrammes
am 10.10.1917.

4   Der Bericht von Bam, 26.5.1917, nachgewiesen oben in Anm. 1,
nennt "auch einen Ausspruch Brantings, dass Bulgarien "auf alle Fälle"
entschädigt werden müsse".

5   Außerdem nach dem Bericht von Bam, 26.5.1917,
nachgewiesen oben in Anm. 1: "die bulgarischen Sozialisten unterstützten
die Auffassung Brantings, dass man die Serben ans adriatische Meer lassen
müsse, um sie vom schwächeren Nachbarn abzulenken und ihnen die
Expansionsfähigkeit nach dem Meer zu geben".

6   Dieser Satz in einer der oben in Anm. 1 nachgewiesenen
Versionen auf deutsch hschr. eingefügt. - Nach dem Bericht von Bam,
26.5.1917, nachgewiesen in Anm. 1: das Selbstbestimmungsrecht sei "jedoch nicht
auf die Völker der österreichisch-ungarischen Monarchie anwendbar,
weil diese weder befreit noch neuformiert werden müssen. Die Regelung
dieser Fragen sei eine innere Frage dieser Völker selbst, die sie sich mit
ihren Regierungen ausmachen müssten".

7   Nach dem Bericht von Bam, 26.5.1917, nachgewiesen oben in Anm.
1, nahmen die Bulgaren ebenfalls den Standpunkt ein, daß das
Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf Elsaß-Lothringen nicht anwendbar sei;
außerdem erklärten sie, "dass Deutschland zu einer Konzession in
dieser Frage nicht geneigt sein werde". "Branting erwiderte darauf, dass die
Elsass-Frage die französischen Sozialisten völlig verpflichtet habe,
und [ohne] irgendeine moralische Kompensation würden die
französischen Sozialisten schwer für eine Verständigung zu haben
sein; im übrigen sei ihm bekannt, dass die deutsche Minoritätspartei
für eine Grenzrektifikation im französischen Elsass sich
erklärte. Dies werde für das Prestige der französischen
Sozialisten eine Lebensfrage bedeuten. Man könnte im übrigen dieses
Opfer Deutschlands mit einer Grenzkorrektion in Kurland entschädigen.
Branting bat die Bulgaren, in dieser Frage eine Brücke zwischen deutschen
und französischen Sozialisten zu bilden und darum einen Passus
bezüglich Elsass-Lothringens in ihre Resolution aufzunehmen. Daraufhin
stimmten die Bulgaren dem Passus zu, bestanden jedoch darauf, dass
hinzugefügt werden müsse, dass diese Frage nur mit Zustimmung der
deutschen Sozialdemokraten gelöst werden kann. Branting bemerkte darauf,
dass die von den Bulgaren gefasste Resolution auf die Franzosen günstig
einwirken werde, und wenn sie auch praktisch nicht vollen Wert besitze,
jedenfalls die gute Stimmung für Beschickung des Kongresses fördern
werde". - In einem Interview in Berlin dementierte Sakasov Berichte aus
Stockholm, daß sich die Bulgaren für eine Volksabstimmung in
Elsaß-Lothringen ausgeprochen hätten; "sie hätten nur eine
freundschaftliche Verständigung über die französischsprechenden
Landesteile als wünschenswert bezeichnet", in Internationale Korrespondenz
(IK) Nr. 23, 27.6.1917, S. 166.

8   Siehe auch die Adresse der bulgarischen Partei an Huysmans in
Stockholm, 16.5.1917, wo man die sozialistischen Delgierten, die "le drapeaux
de la paix et de la fraternité" hochhielten, und "les efforts retablir
internationale" begrüßte, in CHA, Dossiers, I 632 B; abgedruckt in
schwed. Social-Demokraten 18.5.1917, S. 1.